und von tausend Spielkameraden eingefaßt und in dem wir fortrücken jedes Jahr verarmend, jede Stunde einsamer, indeß wir zu Ende laufen von allen verlassen ausser einen gemietheten Mann, der uns eingräbt hinter das Ziel. -- Aber der Tod breitet gleichsam unsere Arme aus und drückt sie um unsere geliebten Geschwister: ein Mensch fühlt erst am Rande der Gruft, da er ans Reich unbekannter Wesen stößet, wie sehr er die Bekannten liebe, die ihn lieben, die leiden wie er, die sterben wie er.
Das Bild des Todes und der Liebe mußte ja wohl Viktors Herz zertrennen. Und da ein Weib uns mit nichts die ganze seelige Vergangenheit rüh¬ render aufdeckt als wenn sie ihr Augenlied aufhebt und uns ihr schwimmendes Auge zeigt: ach so mußte er ja wohl wenigstens unter dem Tanze in ein Auge blicken, das ihm lauter Himmel zeichnete, die ver¬ sunken waren -- und heute sollte alles versinken, das Auge sogar.
Da Klotilde durch das Tanzen immer erblaßte: so zog seine Seele durch ihre Augen in ihr Inneres und zählte drinnen an der stillen Seele die Thränen¬ tropfen, die unerschüttert an ihr hingen -- die vie¬ len Inokulir-Einschnitte des Schicksals für neue Tugenden -- die beschnittenen Wurzeln dieser Bal¬
und von tauſend Spielkameraden eingefaßt und in dem wir fortruͤcken jedes Jahr verarmend, jede Stunde einſamer, indeß wir zu Ende laufen von allen verlaſſen auſſer einen gemietheten Mann, der uns eingraͤbt hinter das Ziel. — Aber der Tod breitet gleichſam unſere Arme aus und druͤckt ſie um unſere geliebten Geſchwiſter: ein Menſch fuͤhlt erſt am Rande der Gruft, da er ans Reich unbekannter Weſen ſtoͤßet, wie ſehr er die Bekannten liebe, die ihn lieben, die leiden wie er, die ſterben wie er.
Das Bild des Todes und der Liebe mußte ja wohl Viktors Herz zertrennen. Und da ein Weib uns mit nichts die ganze ſeelige Vergangenheit ruͤh¬ render aufdeckt als wenn ſie ihr Augenlied aufhebt und uns ihr ſchwimmendes Auge zeigt: ach ſo mußte er ja wohl wenigſtens unter dem Tanze in ein Auge blicken, das ihm lauter Himmel zeichnete, die ver¬ ſunken waren — und heute ſollte alles verſinken, das Auge ſogar.
Da Klotilde durch das Tanzen immer erblaßte: ſo zog ſeine Seele durch ihre Augen in ihr Inneres und zaͤhlte drinnen an der ſtillen Seele die Thraͤnen¬ tropfen, die unerſchuͤttert an ihr hingen — die vie¬ len Inokulir-Einſchnitte des Schickſals fuͤr neue Tugenden — die beſchnittenen Wurzeln dieſer Bal¬
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und von tauſend Spielkameraden eingefaßt und in
dem wir fortruͤcken jedes Jahr verarmend, jede
Stunde einſamer, indeß wir zu Ende laufen von
allen verlaſſen auſſer einen gemietheten Mann,
der uns eingraͤbt hinter das Ziel. — Aber der Tod
breitet gleichſam unſere Arme aus und druͤckt ſie um
unſere geliebten Geſchwiſter: ein Menſch fuͤhlt erſt
am Rande der Gruft, da er ans Reich unbekannter
Weſen ſtoͤßet, wie ſehr er die Bekannten liebe, die
ihn lieben, die leiden wie er, die ſterben wie er.
Das Bild des Todes und der Liebe mußte ja
wohl Viktors Herz zertrennen. Und da ein Weib
uns mit nichts die ganze ſeelige Vergangenheit ruͤh¬
render aufdeckt als wenn ſie ihr Augenlied aufhebt
und uns ihr ſchwimmendes Auge zeigt: ach ſo mußte
er ja wohl wenigſtens unter dem Tanze in ein Auge
blicken, das ihm lauter Himmel zeichnete, die ver¬
ſunken waren — und heute ſollte alles verſinken,
das Auge ſogar.
Da Klotilde durch das Tanzen immer erblaßte:
ſo zog ſeine Seele durch ihre Augen in ihr Inneres
und zaͤhlte drinnen an der ſtillen Seele die Thraͤnen¬
tropfen, die unerſchuͤttert an ihr hingen — die vie¬
len Inokulir-Einſchnitte des Schickſals fuͤr neue
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/388>, abgerufen am 24.11.2024.
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