Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

"durch ein Taschenperspektiv guckte, brach ihm alles
"so klein hervor, daß er nicht wußte weswegen er
"ernsthaft seyn sollte -- ich will nicht gesund da
"stehen, wenn ihm nicht im besagten Glase alle
"Stufen zum Throne so winzig vorkamen wie die
"daumenlange Holztreppe des Laubfrosches in sei¬
"nem Einmachglase."

"Er war ein recht guter Prediger besonders ein
"Leichenredner, daher ihn auch ein recht guter Pre¬
"diger zu Gevatter bat und das Pathgen steht mit
"da und weint seines Orts über Leibschmerzen. ...
"Nur große Hofprediger, die in der Hauptkirche die
"fürstliche Leichenpredigt halten, können sich dessen
"rühmen, was ich zu meinem größten Vergnügen
"jetzt höre, daß das Leichengefolge lacht, und das
"ist mir ein Pfand, das ich tröste. ...

"Und doch hat einer, der auf dem Todtenbette
"liegt, mehr Trost als einer, der nur neben dem
"Bettfuß steht. Das Souterrain der Erdrinde be¬
"wohnen lauter stille ruhende Menschen, die vor ein¬
"ander zusammenrücken; aber auf dem Souterrain
"stehen ihre unruhigen Freunde und wollen hinunter
"in die geliebten Arme aus Staub: denn die Lein¬
"wand auf dem Todten-Auge ist ja ein Fallhut der
"erkalteten Stirn, der Sarg ist der Fallschirm des
"Unglücklichen, und das Leichentuch der letzte Ver¬
"band der weitesten Wunden -- ach warum fällt der

»durch ein Taſchenperſpektiv guckte, brach ihm alles
»ſo klein hervor, daß er nicht wußte weswegen er
»ernſthaft ſeyn ſollte — ich will nicht geſund da
»ſtehen, wenn ihm nicht im beſagten Glaſe alle
»Stufen zum Throne ſo winzig vorkamen wie die
»daumenlange Holztreppe des Laubfroſches in ſei¬
»nem Einmachglaſe.«

»Er war ein recht guter Prediger beſonders ein
»Leichenredner, daher ihn auch ein recht guter Pre¬
»diger zu Gevatter bat und das Pathgen ſteht mit
»da und weint ſeines Orts uͤber Leibſchmerzen. ...
»Nur große Hofprediger, die in der Hauptkirche die
»fuͤrſtliche Leichenpredigt halten, koͤnnen ſich deſſen
»ruͤhmen, was ich zu meinem groͤßten Vergnuͤgen
»jetzt hoͤre, daß das Leichengefolge lacht, und das
»iſt mir ein Pfand, das ich troͤſte. ...

»Und doch hat einer, der auf dem Todtenbette
»liegt, mehr Troſt als einer, der nur neben dem
»Bettfuß ſteht. Das Souterrain der Erdrinde be¬
»wohnen lauter ſtille ruhende Menſchen, die vor ein¬
»ander zuſammenruͤcken; aber auf dem Souterrain
»ſtehen ihre unruhigen Freunde und wollen hinunter
»in die geliebten Arme aus Staub: denn die Lein¬
»wand auf dem Todten-Auge iſt ja ein Fallhut der
»erkalteten Stirn, der Sarg iſt der Fallſchirm des
»Ungluͤcklichen, und das Leichentuch der letzte Ver¬
»band der weiteſten Wunden — ach warum faͤllt der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0360" n="350"/>
»durch ein Ta&#x017F;chenper&#x017F;pektiv guckte, brach ihm alles<lb/>
»&#x017F;o klein hervor, daß er nicht wußte weswegen er<lb/>
»ern&#x017F;thaft &#x017F;eyn &#x017F;ollte &#x2014; ich will nicht ge&#x017F;und da<lb/>
»&#x017F;tehen, wenn ihm nicht im be&#x017F;agten Gla&#x017F;e alle<lb/>
»<hi rendition="#g">Stufen</hi> zum Throne &#x017F;o winzig vorkamen wie die<lb/>
»daumenlange <hi rendition="#g">Holztreppe</hi> des Laubfro&#x017F;ches in &#x017F;ei¬<lb/>
»nem Einmachgla&#x017F;e.«</p><lb/>
            <p>»Er war ein recht guter Prediger be&#x017F;onders ein<lb/>
»Leichenredner, daher ihn auch ein recht guter Pre¬<lb/>
»diger zu Gevatter bat und das Pathgen &#x017F;teht mit<lb/>
»da und weint &#x017F;eines Orts u&#x0364;ber Leib&#x017F;chmerzen. ...<lb/>
»Nur große Hofprediger, die in der Hauptkirche die<lb/>
»fu&#x0364;r&#x017F;tliche Leichenpredigt halten, ko&#x0364;nnen &#x017F;ich de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
»ru&#x0364;hmen, was ich zu meinem gro&#x0364;ßten Vergnu&#x0364;gen<lb/>
»jetzt ho&#x0364;re, daß das Leichengefolge lacht, und das<lb/>
»i&#x017F;t mir ein Pfand, das ich tro&#x0364;&#x017F;te. ...</p><lb/>
            <p>»Und doch hat einer, der auf dem Todtenbette<lb/>
»liegt, mehr Tro&#x017F;t als einer, der nur neben dem<lb/>
»Bettfuß &#x017F;teht. Das Souterrain der Erdrinde be¬<lb/>
»wohnen lauter &#x017F;tille ruhende Men&#x017F;chen, die vor ein¬<lb/>
»ander zu&#x017F;ammenru&#x0364;cken; aber <choice><sic>anf</sic><corr>auf</corr></choice> dem Souterrain<lb/>
»&#x017F;tehen ihre unruhigen Freunde und wollen hinunter<lb/>
»in die geliebten Arme aus Staub: denn die Lein¬<lb/>
»wand auf dem Todten-Auge i&#x017F;t ja ein Fallhut der<lb/>
»erkalteten Stirn, der Sarg i&#x017F;t der Fall&#x017F;chirm des<lb/>
»Unglu&#x0364;cklichen, und das Leichentuch der letzte Ver¬<lb/>
»band der weite&#x017F;ten Wunden &#x2014; ach warum fa&#x0364;llt der<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[350/0360] »durch ein Taſchenperſpektiv guckte, brach ihm alles »ſo klein hervor, daß er nicht wußte weswegen er »ernſthaft ſeyn ſollte — ich will nicht geſund da »ſtehen, wenn ihm nicht im beſagten Glaſe alle »Stufen zum Throne ſo winzig vorkamen wie die »daumenlange Holztreppe des Laubfroſches in ſei¬ »nem Einmachglaſe.« »Er war ein recht guter Prediger beſonders ein »Leichenredner, daher ihn auch ein recht guter Pre¬ »diger zu Gevatter bat und das Pathgen ſteht mit »da und weint ſeines Orts uͤber Leibſchmerzen. ... »Nur große Hofprediger, die in der Hauptkirche die »fuͤrſtliche Leichenpredigt halten, koͤnnen ſich deſſen »ruͤhmen, was ich zu meinem groͤßten Vergnuͤgen »jetzt hoͤre, daß das Leichengefolge lacht, und das »iſt mir ein Pfand, das ich troͤſte. ... »Und doch hat einer, der auf dem Todtenbette »liegt, mehr Troſt als einer, der nur neben dem »Bettfuß ſteht. Das Souterrain der Erdrinde be¬ »wohnen lauter ſtille ruhende Menſchen, die vor ein¬ »ander zuſammenruͤcken; aber auf dem Souterrain »ſtehen ihre unruhigen Freunde und wollen hinunter »in die geliebten Arme aus Staub: denn die Lein¬ »wand auf dem Todten-Auge iſt ja ein Fallhut der »erkalteten Stirn, der Sarg iſt der Fallſchirm des »Ungluͤcklichen, und das Leichentuch der letzte Ver¬ »band der weiteſten Wunden — ach warum faͤllt der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/360
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/360>, abgerufen am 24.11.2024.