denn das muß selber entschuldigt werden -- es ist aber auch nur gar zu gewiß, daß gewisse Menschen, die zu Philosophen oder zu Dichtern organisirt sind, gerade dann und zwar allemal statt ihres Zustandes allgemeine Ideen beschauen, wo es andere gar nicht können und nichts sind als Ichs, nämlich in den größten Gefahren, in den größten Leiden, in den größten Freuden. --
Ein Billiger schiebet alles auf den Apotheker, der Viktors moralischer und mechanischer Bettzopf oder Bettaufhelfer war: denn da der ihm den edlen Maz in einer ähnlichen Lage (aber ohne Bettzopf) vorgemalet hatte: so wurde der Abscheu, den Viktor einige Tage vorher gegen des Evangelisten Betragen empfunden hatte, in ihm zum paralytischen Unver¬ mögen, einige Tage darauf im geringsten es zu kopi¬ ren. -- O wenn wir doch jede Sünde, zu der wir oder andre uns versuchen, ein Paar Tage vorher von einem wahren Schuft hätten begehen sehen, den wir anspeien! --
Endlich darf man nur zu Viktor in den Erker, wo er jetzt sitzt in einem sonderbaren Barometer¬ stand, hinsehen, wenn man den vorigen beurtheilen will. Sein jetziger ist nämlich eine Mischung von Leerheit, Unzufriedenheit (mit sich und jedem,) von größerer Liebe gegen Agnola, von Rechtfertigungen dieser Agnola und doch von einem Unvermögen,
denn das muß ſelber entſchuldigt werden — es iſt aber auch nur gar zu gewiß, daß gewiſſe Menſchen, die zu Philoſophen oder zu Dichtern organiſirt ſind, gerade dann und zwar allemal ſtatt ihres Zuſtandes allgemeine Ideen beſchauen, wo es andere gar nicht koͤnnen und nichts ſind als Ichs, naͤmlich in den groͤßten Gefahren, in den groͤßten Leiden, in den groͤßten Freuden. —
Ein Billiger ſchiebet alles auf den Apotheker, der Viktors moraliſcher und mechaniſcher Bettzopf oder Bettaufhelfer war: denn da der ihm den edlen Maz in einer aͤhnlichen Lage (aber ohne Bettzopf) vorgemalet hatte: ſo wurde der Abſcheu, den Viktor einige Tage vorher gegen des Evangeliſten Betragen empfunden hatte, in ihm zum paralytiſchen Unver¬ moͤgen, einige Tage darauf im geringſten es zu kopi¬ ren. — O wenn wir doch jede Suͤnde, zu der wir oder andre uns verſuchen, ein Paar Tage vorher von einem wahren Schuft haͤtten begehen ſehen, den wir anſpeien! —
Endlich darf man nur zu Viktor in den Erker, wo er jetzt ſitzt in einem ſonderbaren Barometer¬ ſtand, hinſehen, wenn man den vorigen beurtheilen will. Sein jetziger iſt naͤmlich eine Miſchung von Leerheit, Unzufriedenheit (mit ſich und jedem,) von groͤßerer Liebe gegen Agnola, von Rechtfertigungen dieſer Agnola und doch von einem Unvermoͤgen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0334"n="324"/>
denn das muß ſelber entſchuldigt werden — es iſt<lb/>
aber auch nur gar zu gewiß, daß gewiſſe Menſchen,<lb/>
die zu Philoſophen oder zu Dichtern organiſirt ſind,<lb/>
gerade dann und zwar allemal ſtatt ihres Zuſtandes<lb/>
allgemeine Ideen beſchauen, wo es andere gar nicht<lb/>
koͤnnen und nichts ſind als <hirendition="#g">Ichs</hi>, naͤmlich in den<lb/>
groͤßten Gefahren, in den groͤßten Leiden, in den<lb/>
groͤßten Freuden. —</p><lb/><p>Ein Billiger ſchiebet alles auf den Apotheker,<lb/>
der Viktors moraliſcher und mechaniſcher <hirendition="#g">Bettzopf</hi><lb/>
oder Bettaufhelfer war: denn da der ihm den edlen<lb/>
Maz in einer aͤhnlichen Lage (aber ohne Bettzopf)<lb/>
vorgemalet hatte: ſo wurde der Abſcheu, den Viktor<lb/>
einige Tage vorher gegen des Evangeliſten Betragen<lb/>
empfunden hatte, in ihm zum paralytiſchen Unver¬<lb/>
moͤgen, einige Tage darauf im geringſten es zu kopi¬<lb/>
ren. — O wenn wir doch jede Suͤnde, zu der wir<lb/>
oder andre uns verſuchen, ein Paar Tage vorher von<lb/>
einem wahren Schuft haͤtten begehen ſehen, den wir<lb/>
anſpeien! —</p><lb/><p>Endlich darf man nur zu Viktor in den Erker,<lb/>
wo er jetzt ſitzt in einem ſonderbaren Barometer¬<lb/>ſtand, hinſehen, wenn man den vorigen beurtheilen<lb/>
will. Sein jetziger iſt naͤmlich eine Miſchung von<lb/>
Leerheit, Unzufriedenheit (mit ſich und jedem,) von<lb/>
groͤßerer Liebe gegen Agnola, von Rechtfertigungen<lb/>
dieſer Agnola und doch von einem <hirendition="#g">Unvermoͤgen</hi>,<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[324/0334]
denn das muß ſelber entſchuldigt werden — es iſt
aber auch nur gar zu gewiß, daß gewiſſe Menſchen,
die zu Philoſophen oder zu Dichtern organiſirt ſind,
gerade dann und zwar allemal ſtatt ihres Zuſtandes
allgemeine Ideen beſchauen, wo es andere gar nicht
koͤnnen und nichts ſind als Ichs, naͤmlich in den
groͤßten Gefahren, in den groͤßten Leiden, in den
groͤßten Freuden. —
Ein Billiger ſchiebet alles auf den Apotheker,
der Viktors moraliſcher und mechaniſcher Bettzopf
oder Bettaufhelfer war: denn da der ihm den edlen
Maz in einer aͤhnlichen Lage (aber ohne Bettzopf)
vorgemalet hatte: ſo wurde der Abſcheu, den Viktor
einige Tage vorher gegen des Evangeliſten Betragen
empfunden hatte, in ihm zum paralytiſchen Unver¬
moͤgen, einige Tage darauf im geringſten es zu kopi¬
ren. — O wenn wir doch jede Suͤnde, zu der wir
oder andre uns verſuchen, ein Paar Tage vorher von
einem wahren Schuft haͤtten begehen ſehen, den wir
anſpeien! —
Endlich darf man nur zu Viktor in den Erker,
wo er jetzt ſitzt in einem ſonderbaren Barometer¬
ſtand, hinſehen, wenn man den vorigen beurtheilen
will. Sein jetziger iſt naͤmlich eine Miſchung von
Leerheit, Unzufriedenheit (mit ſich und jedem,) von
groͤßerer Liebe gegen Agnola, von Rechtfertigungen
dieſer Agnola und doch von einem Unvermoͤgen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/334>, abgerufen am 29.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.