"eine große Schneeflocke, blendend über das tiefe "Blau. . . Jetzt zieht sie um den Goldfunken des "Gewitterableiters herum gleichsam um einen im "Taghimmel aufgehangenen glimmenden Stern -- "o sie woget und woget und sinkt und verschwin¬ "det in den hohen Blumen des Gottesackers. . . . "Julius, fühltest du nichts da ich sprach? Ach die "weisse Taube war vielleicht dein Engel und darum "zerfloß heute vor seiner Nähe dein Herz -- Die "Taube fliegt nicht auf, aber Thau Wolken, wie "abgerissene Stücke aus Sommernächten mit einem "Silberrand, ziehen über Gottesacker und über¬ "färben die blühenden Gräber mit Schatten. . . . "Jetzt schwimmt ein solcher vom Himmel fallender "Schatten auf uns her und überspült unsern Berg "-- -- Rinne, rinne, flüchtige Nacht, Bild des Le¬ "bens und verdecke mir die fallende Sonne nicht "lange! . . . Unser Wölkgen steht in Sonnenflam¬ "men. . . o du Holde, so sanft hinter dem Erden¬ "ufer zurückblickende Sonne, du Mutterauge der "Welt, dein Abendlicht vergießest du ja so warm "und langsam wie rinnendes Blut aus dir und er¬ "blassest sinkend, aber die Erde, in Fruchtschnüren "und Blumenguirlanden aufgehangen und an dich "gelegt, röthet sich neugeschaffen und vor schwellen¬ "der Kraft. . . . Höre, Julius, jetzt tönen die Gär¬ "ten -- die Luft summet -- die Vögel durchkreuzen
»eine große Schneeflocke, blendend uͤber das tiefe »Blau. . . Jetzt zieht ſie um den Goldfunken des »Gewitterableiters herum gleichſam um einen im »Taghimmel aufgehangenen glimmenden Stern — »o ſie woget und woget und ſinkt und verſchwin¬ »det in den hohen Blumen des Gottesackers. . . . »Julius, fuͤhlteſt du nichts da ich ſprach? Ach die »weiſſe Taube war vielleicht dein Engel und darum »zerfloß heute vor ſeiner Naͤhe dein Herz — Die »Taube fliegt nicht auf, aber Thau Wolken, wie »abgeriſſene Stuͤcke aus Sommernaͤchten mit einem »Silberrand, ziehen uͤber Gottesacker und uͤber¬ »faͤrben die bluͤhenden Graͤber mit Schatten. . . . »Jetzt ſchwimmt ein ſolcher vom Himmel fallender »Schatten auf uns her und uͤberſpuͤlt unſern Berg »— — Rinne, rinne, fluͤchtige Nacht, Bild des Le¬ »bens und verdecke mir die fallende Sonne nicht »lange! . . . Unſer Woͤlkgen ſteht in Sonnenflam¬ »men. . . o du Holde, ſo ſanft hinter dem Erden¬ »ufer zuruͤckblickende Sonne, du Mutterauge der »Welt, dein Abendlicht vergießeſt du ja ſo warm »und langſam wie rinnendes Blut aus dir und er¬ »blaſſeſt ſinkend, aber die Erde, in Fruchtſchnuͤren »und Blumenguirlanden aufgehangen und an dich »gelegt, roͤthet ſich neugeſchaffen und vor ſchwellen¬ »der Kraft. . . . Hoͤre, Julius, jetzt toͤnen die Gaͤr¬ »ten — die Luft ſummet — die Voͤgel durchkreuzen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0279"n="269"/>
»eine große Schneeflocke, blendend uͤber das tiefe<lb/>
»Blau. . . Jetzt zieht ſie um den Goldfunken des<lb/>
»Gewitterableiters herum gleichſam um einen im<lb/>
»Taghimmel aufgehangenen glimmenden Stern —<lb/>
»o ſie woget und woget und ſinkt und verſchwin¬<lb/>
»det in den hohen Blumen des Gottesackers. . . .<lb/>
»Julius, fuͤhlteſt du nichts da ich ſprach? Ach die<lb/>
»weiſſe Taube war vielleicht dein Engel und darum<lb/>
»zerfloß heute vor ſeiner Naͤhe dein Herz — Die<lb/>
»Taube fliegt nicht auf, aber Thau Wolken, wie<lb/>
»abgeriſſene Stuͤcke aus Sommernaͤchten mit einem<lb/>
»Silberrand, ziehen uͤber Gottesacker und uͤber¬<lb/>
»faͤrben die bluͤhenden Graͤber mit Schatten. . . .<lb/>
»Jetzt ſchwimmt ein ſolcher vom Himmel fallender<lb/>
»Schatten auf uns her und uͤberſpuͤlt unſern Berg<lb/>
»—— Rinne, rinne, fluͤchtige Nacht, Bild des Le¬<lb/>
»bens und verdecke mir die fallende Sonne nicht<lb/>
»lange! . . . Unſer Woͤlkgen ſteht in Sonnenflam¬<lb/>
»men. . . o du Holde, ſo ſanft hinter dem Erden¬<lb/>
»ufer zuruͤckblickende Sonne, du Mutterauge der<lb/>
»Welt, dein Abendlicht vergießeſt du ja ſo warm<lb/>
»und langſam wie rinnendes Blut aus dir und er¬<lb/>
»blaſſeſt ſinkend, aber die Erde, in Fruchtſchnuͤren<lb/>
»und Blumenguirlanden aufgehangen und an dich<lb/>
»gelegt, roͤthet ſich neugeſchaffen und vor ſchwellen¬<lb/>
»der Kraft. . . . Hoͤre, Julius, jetzt toͤnen die Gaͤr¬<lb/>
»ten — die Luft ſummet — die Voͤgel durchkreuzen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[269/0279]
»eine große Schneeflocke, blendend uͤber das tiefe
»Blau. . . Jetzt zieht ſie um den Goldfunken des
»Gewitterableiters herum gleichſam um einen im
»Taghimmel aufgehangenen glimmenden Stern —
»o ſie woget und woget und ſinkt und verſchwin¬
»det in den hohen Blumen des Gottesackers. . . .
»Julius, fuͤhlteſt du nichts da ich ſprach? Ach die
»weiſſe Taube war vielleicht dein Engel und darum
»zerfloß heute vor ſeiner Naͤhe dein Herz — Die
»Taube fliegt nicht auf, aber Thau Wolken, wie
»abgeriſſene Stuͤcke aus Sommernaͤchten mit einem
»Silberrand, ziehen uͤber Gottesacker und uͤber¬
»faͤrben die bluͤhenden Graͤber mit Schatten. . . .
»Jetzt ſchwimmt ein ſolcher vom Himmel fallender
»Schatten auf uns her und uͤberſpuͤlt unſern Berg
»— — Rinne, rinne, fluͤchtige Nacht, Bild des Le¬
»bens und verdecke mir die fallende Sonne nicht
»lange! . . . Unſer Woͤlkgen ſteht in Sonnenflam¬
»men. . . o du Holde, ſo ſanft hinter dem Erden¬
»ufer zuruͤckblickende Sonne, du Mutterauge der
»Welt, dein Abendlicht vergießeſt du ja ſo warm
»und langſam wie rinnendes Blut aus dir und er¬
»blaſſeſt ſinkend, aber die Erde, in Fruchtſchnuͤren
»und Blumenguirlanden aufgehangen und an dich
»gelegt, roͤthet ſich neugeſchaffen und vor ſchwellen¬
»der Kraft. . . . Hoͤre, Julius, jetzt toͤnen die Gaͤr¬
»ten — die Luft ſummet — die Voͤgel durchkreuzen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/279>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.