aber einfachern Revolutionen des Erdballs nachrech¬ nen können, in die moralischen seiner Bewohner schauen? -- --
Von allem, was aus diesen Prämissen folgt, glaub' ich -- das Gegentheil, ausgenommen die Nothwendigkeit der prophetischen Demuth. Der Skeptizismus, der uns statt hartgläubig, ungläubig macht und statt der Augen das Licht reinigen will, wird zum Unsinn und zur fürchterlichsten philo¬ sophischen Lethargie und Atonie.
Der Mensch hält sein Jahrhundert oder Jahr¬ dreißig für die Kulmination des Lichts, für einen Festtag zu dem alle andre Jahrhunderte nur als Wo¬ chentage führen. Er kennt nur zwei goldne Zeital¬ ter, das am Anfang der Erde, das am Ende dersel¬ ben, worunter er nur seines denkt; die Geschichte findet er den großen Wäldern ähnlich, in deren Mitte Schweigen, Nacht und Raubvögel sind und deren Rand bloß mit Licht und Gesang erfüllet ist. -- Allerdings dienet mir alles; aber ich diene auch allem. Da es für die Natur, die bei ihrer Ewig¬ keit keinen Zeitverlust, bei ihrer Unerschöpflichkeit keinen Kraftverlust kennt, kein anderes Gesetz der Sparsamkeit giebt als das der Verschwendung -- da sie mit Eiern und Saamenkörnern eben so gut der Ernährung als der Fortpflanzung dient und mit einer unentwickelten Keim Welt eine halbe
Hesperus. II. Th. Q
aber einfachern Revolutionen des Erdballs nachrech¬ nen koͤnnen, in die moraliſchen ſeiner Bewohner ſchauen? — —
Von allem, was aus dieſen Praͤmiſſen folgt, glaub' ich — das Gegentheil, ausgenommen die Nothwendigkeit der prophetiſchen Demuth. Der Skeptizismus, der uns ſtatt hartglaͤubig, unglaͤubig macht und ſtatt der Augen das Licht reinigen will, wird zum Unſinn und zur fuͤrchterlichſten philo¬ ſophiſchen Lethargie und Atonie.
Der Menſch haͤlt ſein Jahrhundert oder Jahr¬ dreißig fuͤr die Kulmination des Lichts, fuͤr einen Feſttag zu dem alle andre Jahrhunderte nur als Wo¬ chentage fuͤhren. Er kennt nur zwei goldne Zeital¬ ter, das am Anfang der Erde, das am Ende derſel¬ ben, worunter er nur ſeines denkt; die Geſchichte findet er den großen Waͤldern aͤhnlich, in deren Mitte Schweigen, Nacht und Raubvoͤgel ſind und deren Rand bloß mit Licht und Geſang erfuͤllet iſt. — Allerdings dienet mir alles; aber ich diene auch allem. Da es fuͤr die Natur, die bei ihrer Ewig¬ keit keinen Zeitverluſt, bei ihrer Unerſchoͤpflichkeit keinen Kraftverluſt kennt, kein anderes Geſetz der Sparſamkeit giebt als das der Verſchwendung — da ſie mit Eiern und Saamenkoͤrnern eben ſo gut der Ernaͤhrung als der Fortpflanzung dient und mit einer unentwickelten Keim Welt eine halbe
Heſperus. II. Th. Q
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aber einfachern Revolutionen des Erdballs nachrech¬
nen koͤnnen, in die moraliſchen ſeiner Bewohner
ſchauen? — —
Von allem, was aus dieſen Praͤmiſſen folgt,
glaub' ich — das Gegentheil, ausgenommen die
Nothwendigkeit der prophetiſchen Demuth. Der
Skeptizismus, der uns ſtatt hartglaͤubig, unglaͤubig
macht und ſtatt der Augen das Licht reinigen
will, wird zum Unſinn und zur fuͤrchterlichſten philo¬
ſophiſchen Lethargie und Atonie.
Der Menſch haͤlt ſein Jahrhundert oder Jahr¬
dreißig fuͤr die Kulmination des Lichts, fuͤr einen
Feſttag zu dem alle andre Jahrhunderte nur als Wo¬
chentage fuͤhren. Er kennt nur zwei goldne Zeital¬
ter, das am Anfang der Erde, das am Ende derſel¬
ben, worunter er nur ſeines denkt; die Geſchichte
findet er den großen Waͤldern aͤhnlich, in deren
Mitte Schweigen, Nacht und Raubvoͤgel ſind und
deren Rand bloß mit Licht und Geſang erfuͤllet iſt.
— Allerdings dienet mir alles; aber ich diene auch
allem. Da es fuͤr die Natur, die bei ihrer Ewig¬
keit keinen Zeitverluſt, bei ihrer Unerſchoͤpflichkeit
keinen Kraftverluſt kennt, kein anderes Geſetz der
Sparſamkeit giebt als das der Verſchwendung — da
ſie mit Eiern und Saamenkoͤrnern eben ſo gut
der Ernaͤhrung als der Fortpflanzung dient
und mit einer unentwickelten Keim Welt eine halbe
Heſperus. II. Th. Q
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 241. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/251>, abgerufen am 22.11.2024.
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