dacht' er an sich zuerst; aber schon längst hatten ihn alle seine feinsten Beobachtungen, seine ihm jetzt ge¬ läufigern Rikoschet-Blicke aus dem Augen¬ winkel überwiesen, daß er die Auszeichnung, die sie ihm nicht versagte, mehr ihrer Unpartheilichkeit als ihrer Neigung zuzuschreiben habe. Wer es sonst am Hofe sey -- das herauszubringen stellt' er ver¬ geblich einen Elektrizitätszeiger nach dem andern auf. Auch wußt' er voraus, daß er vergeblich auf¬ stellen werde: da Klotilde alles Aushorchen ihres Innern vereiteln würde, wenn sie eine unerwiderte Neigung hätte: die Vernunft war bei ihr das Wachs, das man auf das eine Ende der magneti¬ schen Nadel klebt, um die Inklination des an¬ dern aufzuheben oder zu verbergen.
Gleichwohl nahm er sich vor, einige Wünschelru¬ then das nächstemal an ihre Seele zu halten. -- Er ging zur Fürstin, um da die Verschwiegene für eine vollständige Nerven-Pazientin zu erklären. Er lachte selber innerlich über den Ausdruck -- und über die Aerzte -- und über ihre Nervenkuren -- und sagte: wie sonst die französischen Könige bei ihren Sani¬ tätsanstalten gegen die Kröpfe sagen mußten: "der "König berührt dich aber Gott heilt dich" so soll¬ ten die Aerzte sagen: der Stadt- und Landphysikus greift dir an den Puls, aber Gott macht die Kur. -- Hier indessen gab er sie aus drei guten Absichten
dacht' er an ſich zuerſt; aber ſchon laͤngſt hatten ihn alle ſeine feinſten Beobachtungen, ſeine ihm jetzt ge¬ laͤufigern Rikoſchet-Blicke aus dem Augen¬ winkel uͤberwieſen, daß er die Auszeichnung, die ſie ihm nicht verſagte, mehr ihrer Unpartheilichkeit als ihrer Neigung zuzuſchreiben habe. Wer es ſonſt am Hofe ſey — das herauszubringen ſtellt' er ver¬ geblich einen Elektrizitaͤtszeiger nach dem andern auf. Auch wußt' er voraus, daß er vergeblich auf¬ ſtellen werde: da Klotilde alles Aushorchen ihres Innern vereiteln wuͤrde, wenn ſie eine unerwiderte Neigung haͤtte: die Vernunft war bei ihr das Wachs, das man auf das eine Ende der magneti¬ ſchen Nadel klebt, um die Inklination des an¬ dern aufzuheben oder zu verbergen.
Gleichwohl nahm er ſich vor, einige Wuͤnſchelru¬ then das naͤchſtemal an ihre Seele zu halten. — Er ging zur Fuͤrſtin, um da die Verſchwiegene fuͤr eine vollſtaͤndige Nerven-Pazientin zu erklaͤren. Er lachte ſelber innerlich uͤber den Ausdruck — und uͤber die Aerzte — und uͤber ihre Nervenkuren — und ſagte: wie ſonſt die franzoͤſiſchen Koͤnige bei ihren Sani¬ taͤtsanſtalten gegen die Kroͤpfe ſagen mußten: »der »Koͤnig beruͤhrt dich aber Gott heilt dich» ſo ſoll¬ ten die Aerzte ſagen: der Stadt- und Landphyſikus greift dir an den Puls, aber Gott macht die Kur. — Hier indeſſen gab er ſie aus drei guten Abſichten
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dacht' er an ſich zuerſt; aber ſchon laͤngſt hatten ihn
alle ſeine feinſten Beobachtungen, ſeine ihm jetzt ge¬
laͤufigern Rikoſchet-Blicke aus dem Augen¬
winkel uͤberwieſen, daß er die Auszeichnung, die
ſie ihm nicht verſagte, mehr ihrer Unpartheilichkeit
als ihrer Neigung zuzuſchreiben habe. Wer es ſonſt
am Hofe ſey — das herauszubringen ſtellt' er ver¬
geblich einen Elektrizitaͤtszeiger nach dem andern
auf. Auch wußt' er voraus, daß er vergeblich auf¬
ſtellen werde: da Klotilde alles Aushorchen ihres
Innern vereiteln wuͤrde, wenn ſie eine unerwiderte
Neigung haͤtte: die Vernunft war bei ihr das
Wachs, das man auf das eine Ende der magneti¬
ſchen Nadel klebt, um die Inklination des an¬
dern aufzuheben oder zu verbergen.
Gleichwohl nahm er ſich vor, einige Wuͤnſchelru¬
then das naͤchſtemal an ihre Seele zu halten. — Er
ging zur Fuͤrſtin, um da die Verſchwiegene fuͤr eine
vollſtaͤndige Nerven-Pazientin zu erklaͤren. Er lachte
ſelber innerlich uͤber den Ausdruck — und uͤber die
Aerzte — und uͤber ihre Nervenkuren — und ſagte:
wie ſonſt die franzoͤſiſchen Koͤnige bei ihren Sani¬
taͤtsanſtalten gegen die Kroͤpfe ſagen mußten: »der
»Koͤnig beruͤhrt dich aber Gott heilt dich» ſo ſoll¬
ten die Aerzte ſagen: der Stadt- und Landphyſikus
greift dir an den Puls, aber Gott macht die Kur.
— Hier indeſſen gab er ſie aus drei guten Abſichten
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/230>, abgerufen am 24.11.2024.
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