Aber für heute war von solchem Erdbeben die Struktur seines Herzens zu weit zerrissen. Und da ihn Klotilde in einer isolirten Sekunde sagte: daß die Pfarrerin und Agathe über sein Aussenbleiben zürnten: so war er, da sich bei diesen Namen die ganze bewölkte Vergangenheit wie ein Himmel auf¬ that, nicht im Stande, eine Antwort zu geben.
Als er nach Hause kam: redete Klotildens Stim¬ me, die er unter allen ihren Reitzen am wenigsten vergessen konnte, unaufhörlich und wie das Echo ei¬ nes Trauergesangs in seiner Seele. .. Leser, wenn das, was du liebtest, lange verschwunden ist aus der Erde oder aus deiner Phantasie, so wird doch in Trauerstunden die geliebte Stimme wieder kommen und alle deine alten Thränen mitbringen und das trostlose Herz, das sie vergossen hat! ... Aber nicht bloß ihre Stimme, sondern alles drängte sich im Finstern um seine Phantasie, ihr bescheidenes Auge, das nicht hofmäßig blitzte und ertrotzte und suchte, wie der andern ihre: diese behutsame Feinheit, die ihm jetzt seit seinem Hofleben weder an ihr noch an seinem Vater mehr zu groß vorkam -- dazu setze man noch das Bild Joachimens und sein Chaos von Widersprüchen und die Bemerkung, daß ein Mensch, den die gewissesten Beweise, ungeliebt zu seyn, beru¬ higt haben, doch bei einem neuen wieder leidet: so
Aber fuͤr heute war von ſolchem Erdbeben die Struktur ſeines Herzens zu weit zerriſſen. Und da ihn Klotilde in einer iſolirten Sekunde ſagte: daß die Pfarrerin und Agathe uͤber ſein Auſſenbleiben zuͤrnten: ſo war er, da ſich bei dieſen Namen die ganze bewoͤlkte Vergangenheit wie ein Himmel auf¬ that, nicht im Stande, eine Antwort zu geben.
Als er nach Hauſe kam: redete Klotildens Stim¬ me, die er unter allen ihren Reitzen am wenigſten vergeſſen konnte, unaufhoͤrlich und wie das Echo ei¬ nes Trauergeſangs in ſeiner Seele. .. Leſer, wenn das, was du liebteſt, lange verſchwunden iſt aus der Erde oder aus deiner Phantaſie, ſo wird doch in Trauerſtunden die geliebte Stimme wieder kommen und alle deine alten Thraͤnen mitbringen und das troſtloſe Herz, das ſie vergoſſen hat! ... Aber nicht bloß ihre Stimme, ſondern alles draͤngte ſich im Finſtern um ſeine Phantaſie, ihr beſcheidenes Auge, das nicht hofmaͤßig blitzte und ertrotzte und ſuchte, wie der andern ihre: dieſe behutſame Feinheit, die ihm jetzt ſeit ſeinem Hofleben weder an ihr noch an ſeinem Vater mehr zu groß vorkam — dazu ſetze man noch das Bild Joachimens und ſein Chaos von Widerſpruͤchen und die Bemerkung, daß ein Menſch, den die gewiſſeſten Beweiſe, ungeliebt zu ſeyn, beru¬ higt haben, doch bei einem neuen wieder leidet: ſo
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0207"n="197"/><p>Aber fuͤr heute war von ſolchem Erdbeben die<lb/>
Struktur ſeines Herzens zu weit zerriſſen. Und da<lb/>
ihn Klotilde in einer iſolirten Sekunde ſagte: daß<lb/>
die Pfarrerin und Agathe uͤber ſein Auſſenbleiben<lb/>
zuͤrnten: ſo war er, da ſich bei dieſen Namen die<lb/>
ganze bewoͤlkte Vergangenheit wie ein Himmel auf¬<lb/>
that, nicht im Stande, eine Antwort zu geben.</p><lb/><p>Als er nach Hauſe kam: redete Klotildens Stim¬<lb/>
me, die er unter allen ihren Reitzen am wenigſten<lb/>
vergeſſen konnte, unaufhoͤrlich und wie das Echo ei¬<lb/>
nes Trauergeſangs in ſeiner Seele. .. Leſer, wenn<lb/>
das, was du liebteſt, lange verſchwunden iſt aus der<lb/>
Erde oder aus deiner Phantaſie, ſo wird doch in<lb/>
Trauerſtunden die geliebte <hirendition="#g">Stimme</hi> wieder kommen<lb/>
und alle deine alten Thraͤnen mitbringen und das<lb/>
troſtloſe Herz, das ſie vergoſſen hat! ... Aber<lb/>
nicht bloß ihre Stimme, ſondern alles draͤngte ſich<lb/>
im Finſtern um ſeine Phantaſie, ihr beſcheidenes<lb/>
Auge, das nicht hofmaͤßig blitzte und ertrotzte und<lb/>ſuchte, wie der andern ihre: dieſe behutſame Feinheit,<lb/>
die ihm jetzt ſeit ſeinem Hofleben weder an ihr noch<lb/>
an ſeinem Vater mehr zu groß vorkam — dazu ſetze<lb/>
man noch das Bild Joachimens und ſein Chaos von<lb/>
Widerſpruͤchen und die Bemerkung, daß ein Menſch,<lb/>
den die gewiſſeſten Beweiſe, ungeliebt zu ſeyn, beru¬<lb/>
higt haben, doch bei einem <hirendition="#g">neuen</hi> wieder leidet: ſo<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[197/0207]
Aber fuͤr heute war von ſolchem Erdbeben die
Struktur ſeines Herzens zu weit zerriſſen. Und da
ihn Klotilde in einer iſolirten Sekunde ſagte: daß
die Pfarrerin und Agathe uͤber ſein Auſſenbleiben
zuͤrnten: ſo war er, da ſich bei dieſen Namen die
ganze bewoͤlkte Vergangenheit wie ein Himmel auf¬
that, nicht im Stande, eine Antwort zu geben.
Als er nach Hauſe kam: redete Klotildens Stim¬
me, die er unter allen ihren Reitzen am wenigſten
vergeſſen konnte, unaufhoͤrlich und wie das Echo ei¬
nes Trauergeſangs in ſeiner Seele. .. Leſer, wenn
das, was du liebteſt, lange verſchwunden iſt aus der
Erde oder aus deiner Phantaſie, ſo wird doch in
Trauerſtunden die geliebte Stimme wieder kommen
und alle deine alten Thraͤnen mitbringen und das
troſtloſe Herz, das ſie vergoſſen hat! ... Aber
nicht bloß ihre Stimme, ſondern alles draͤngte ſich
im Finſtern um ſeine Phantaſie, ihr beſcheidenes
Auge, das nicht hofmaͤßig blitzte und ertrotzte und
ſuchte, wie der andern ihre: dieſe behutſame Feinheit,
die ihm jetzt ſeit ſeinem Hofleben weder an ihr noch
an ſeinem Vater mehr zu groß vorkam — dazu ſetze
man noch das Bild Joachimens und ſein Chaos von
Widerſpruͤchen und die Bemerkung, daß ein Menſch,
den die gewiſſeſten Beweiſe, ungeliebt zu ſeyn, beru¬
higt haben, doch bei einem neuen wieder leidet: ſo
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/207>, abgerufen am 17.09.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.