Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

Rosen flattern, die ich bisher so gern begossen --
dieses Herz, wenn es sich zerlegt hat in den Blüten¬
staub eines neuen ewigen Herzens, spiele und schwebe
im Strale des Mondes, der mir es in meinem Le¬
ben so oft schwer und weich gemacht -- Fährest du
einmal, liebe Schwester, bei Maienthal vorüber: so
blickt bis zur Straße das Kreuz durch die Rosen
hindurch und wenn es dich nicht zu traurig macht,
so schaue hinüber zu mir. --

Mir war jetzt einige Minuten als holte ich in
Aether Athem -- in kleinen dünnen Zügen -- Es
wird bald aus seyn. Sag' aber meinen Gespielin¬
nen, wenn sie nach mir fragen, ich bin gern gegan¬
gen, ob ich wohl jung war. Recht gern. Unser
Lehrer sagt, die Sterbenden sind fliegendes Gewölk,
die Lebenden sind stehendes, unter welchem jenes
hinzieht, aber Abends ist beides dahin. Ach ich
dachte, ich würde mich noch recht lange, von einem
Trauerjahr zum andern, nach dem Sterben sehnen
müssen, ach ich besorgte, diese erblaßten Wangen,
diese hineingeweinten. Augen würden den Tod nicht
erbitten, er würde mich veralten lassen und mir das
verblühte Herz erst abnehmen, wenn es sich müde
geschlagen -- aber siehe, er kömmt eher -- In we¬
nig Tagen, vielleicht in wenig Stunden wird ein
Engel vor mich treten und lächeln und ich werd' es
sehen, daß es der Tod ist und auch lächeln und

Roſen flattern, die ich bisher ſo gern begoſſen —
dieſes Herz, wenn es ſich zerlegt hat in den Bluͤten¬
ſtaub eines neuen ewigen Herzens, ſpiele und ſchwebe
im Strale des Mondes, der mir es in meinem Le¬
ben ſo oft ſchwer und weich gemacht — Faͤhreſt du
einmal, liebe Schweſter, bei Maienthal voruͤber: ſo
blickt bis zur Straße das Kreuz durch die Roſen
hindurch und wenn es dich nicht zu traurig macht,
ſo ſchaue hinuͤber zu mir. —

Mir war jetzt einige Minuten als holte ich in
Aether Athem — in kleinen duͤnnen Zuͤgen — Es
wird bald aus ſeyn. Sag' aber meinen Geſpielin¬
nen, wenn ſie nach mir fragen, ich bin gern gegan¬
gen, ob ich wohl jung war. Recht gern. Unſer
Lehrer ſagt, die Sterbenden ſind fliegendes Gewoͤlk,
die Lebenden ſind ſtehendes, unter welchem jenes
hinzieht, aber Abends iſt beides dahin. Ach ich
dachte, ich wuͤrde mich noch recht lange, von einem
Trauerjahr zum andern, nach dem Sterben ſehnen
muͤſſen, ach ich beſorgte, dieſe erblaßten Wangen,
dieſe hineingeweinten. Augen wuͤrden den Tod nicht
erbitten, er wuͤrde mich veralten laſſen und mir das
verbluͤhte Herz erſt abnehmen, wenn es ſich muͤde
geſchlagen — aber ſiehe, er koͤmmt eher — In we¬
nig Tagen, vielleicht in wenig Stunden wird ein
Engel vor mich treten und laͤcheln und ich werd' es
ſehen, daß es der Tod iſt und auch laͤcheln und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0193" n="183"/>
Ro&#x017F;en flattern, die ich bisher &#x017F;o gern bego&#x017F;&#x017F;en &#x2014;<lb/>
die&#x017F;es Herz, wenn es &#x017F;ich zerlegt hat in den Blu&#x0364;ten¬<lb/>
&#x017F;taub eines neuen ewigen Herzens, &#x017F;piele und &#x017F;chwebe<lb/>
im Strale des Mondes, der mir es in meinem Le¬<lb/>
ben &#x017F;o oft &#x017F;chwer und weich gemacht &#x2014; Fa&#x0364;hre&#x017F;t du<lb/>
einmal, liebe Schwe&#x017F;ter, bei Maienthal voru&#x0364;ber: &#x017F;o<lb/>
blickt bis zur Straße das Kreuz durch die Ro&#x017F;en<lb/>
hindurch und wenn es dich nicht zu traurig macht,<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chaue hinu&#x0364;ber zu mir. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Mir war jetzt einige Minuten als holte ich in<lb/>
Aether Athem &#x2014; in kleinen du&#x0364;nnen Zu&#x0364;gen &#x2014; Es<lb/>
wird bald aus &#x017F;eyn. Sag' aber meinen Ge&#x017F;pielin¬<lb/>
nen, wenn &#x017F;ie nach mir fragen, ich bin gern gegan¬<lb/>
gen, ob ich wohl jung war. Recht gern. Un&#x017F;er<lb/>
Lehrer &#x017F;agt, die Sterbenden &#x017F;ind fliegendes Gewo&#x0364;lk,<lb/>
die Lebenden &#x017F;ind &#x017F;tehendes, unter welchem jenes<lb/>
hinzieht, aber Abends i&#x017F;t beides dahin. Ach ich<lb/>
dachte, ich wu&#x0364;rde mich noch recht lange, von einem<lb/>
Trauerjahr zum andern, nach dem Sterben &#x017F;ehnen<lb/>
mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, ach ich be&#x017F;orgte, die&#x017F;e erblaßten Wangen,<lb/>
die&#x017F;e hineingeweinten. Augen wu&#x0364;rden den Tod nicht<lb/>
erbitten, er wu&#x0364;rde mich veralten la&#x017F;&#x017F;en und mir das<lb/>
verblu&#x0364;hte Herz er&#x017F;t abnehmen, wenn es &#x017F;ich mu&#x0364;de<lb/>
ge&#x017F;chlagen &#x2014; aber &#x017F;iehe, er ko&#x0364;mmt eher &#x2014; In we¬<lb/>
nig Tagen, vielleicht in wenig Stunden wird ein<lb/>
Engel vor mich treten und la&#x0364;cheln und ich werd' es<lb/>
&#x017F;ehen, daß es der Tod i&#x017F;t und auch la&#x0364;cheln und<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[183/0193] Roſen flattern, die ich bisher ſo gern begoſſen — dieſes Herz, wenn es ſich zerlegt hat in den Bluͤten¬ ſtaub eines neuen ewigen Herzens, ſpiele und ſchwebe im Strale des Mondes, der mir es in meinem Le¬ ben ſo oft ſchwer und weich gemacht — Faͤhreſt du einmal, liebe Schweſter, bei Maienthal voruͤber: ſo blickt bis zur Straße das Kreuz durch die Roſen hindurch und wenn es dich nicht zu traurig macht, ſo ſchaue hinuͤber zu mir. — Mir war jetzt einige Minuten als holte ich in Aether Athem — in kleinen duͤnnen Zuͤgen — Es wird bald aus ſeyn. Sag' aber meinen Geſpielin¬ nen, wenn ſie nach mir fragen, ich bin gern gegan¬ gen, ob ich wohl jung war. Recht gern. Unſer Lehrer ſagt, die Sterbenden ſind fliegendes Gewoͤlk, die Lebenden ſind ſtehendes, unter welchem jenes hinzieht, aber Abends iſt beides dahin. Ach ich dachte, ich wuͤrde mich noch recht lange, von einem Trauerjahr zum andern, nach dem Sterben ſehnen muͤſſen, ach ich beſorgte, dieſe erblaßten Wangen, dieſe hineingeweinten. Augen wuͤrden den Tod nicht erbitten, er wuͤrde mich veralten laſſen und mir das verbluͤhte Herz erſt abnehmen, wenn es ſich muͤde geſchlagen — aber ſiehe, er koͤmmt eher — In we¬ nig Tagen, vielleicht in wenig Stunden wird ein Engel vor mich treten und laͤcheln und ich werd' es ſehen, daß es der Tod iſt und auch laͤcheln und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/193
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/193>, abgerufen am 22.11.2024.