In solchen Lagen fragte er sich immer von neuem: "ist vielleicht Joachime wie du, besser, weicher, we¬ niger koket als sie scheint? und warum willst du sie nach einem äußern Schein verdammen, der ja auch der deinige "ist." Ihr Betragen ratifizirte selten diese guten Vermuthungen oder es widerlegte sie gar: gleich¬ wohl fuhr er fort, sich neuen Widerlegungen auszu¬ setzen und Ratifikationen zu begehren. Das Bedürf¬ niß zu lieben zwingt zu größern Thorheiten als die Liebe selber: Viktor ließ sich jede Woche eine Voll¬ kommenheit mehr vom weiblichen Ideal abdingen, für das er wie für den unbekannten Gott schon seit Jahren die Altäre in seinem Kopfe fertig hatte. Unter diesem Abdingen wäre der ganze December verflossen, wäre nicht der erste Weihnachtstag ge¬ wesen.
Am ersten Weihnachtstage, wo er hinter jedem Fenster lachende Gesichter und Hesperiden-Gärten sah, wollt' er auch fröhlich seyn und flog unter den Kirchenmusiken in Joachimens Toilettenzimmer, um da sich selber eine zu machen. Er bescheere ihr, sagte er, einen Flaschenkeller aus Likören, ein ganzes Lager von Rataffia, weil er wisse, wie Damen trän¬ ken. Als er endlich seinen Lagerbaum voll Bouteil¬ len aus der -- Tasche zog: war's eine elende kleine Schachtel voll Baumwolle, in der nette Bouteillen wohlriechender Wasser, fast von der Länge der Zaun¬
In ſolchen Lagen fragte er ſich immer von neuem: »iſt vielleicht Joachime wie du, beſſer, weicher, we¬ niger koket als ſie ſcheint? und warum willſt du ſie nach einem aͤußern Schein verdammen, der ja auch der deinige »iſt.« Ihr Betragen ratifizirte ſelten dieſe guten Vermuthungen oder es widerlegte ſie gar: gleich¬ wohl fuhr er fort, ſich neuen Widerlegungen auszu¬ ſetzen und Ratifikationen zu begehren. Das Beduͤrf¬ niß zu lieben zwingt zu groͤßern Thorheiten als die Liebe ſelber: Viktor ließ ſich jede Woche eine Voll¬ kommenheit mehr vom weiblichen Ideal abdingen, fuͤr das er wie fuͤr den unbekannten Gott ſchon ſeit Jahren die Altaͤre in ſeinem Kopfe fertig hatte. Unter dieſem Abdingen waͤre der ganze December verfloſſen, waͤre nicht der erſte Weihnachtstag ge¬ weſen.
Am erſten Weihnachtstage, wo er hinter jedem Fenſter lachende Geſichter und Heſperiden-Gaͤrten ſah, wollt' er auch froͤhlich ſeyn und flog unter den Kirchenmuſiken in Joachimens Toilettenzimmer, um da ſich ſelber eine zu machen. Er beſcheere ihr, ſagte er, einen Flaſchenkeller aus Likoͤren, ein ganzes Lager von Rataffia, weil er wiſſe, wie Damen traͤn¬ ken. Als er endlich ſeinen Lagerbaum voll Bouteil¬ len aus der — Taſche zog: war's eine elende kleine Schachtel voll Baumwolle, in der nette Bouteillen wohlriechender Waſſer, faſt von der Laͤnge der Zaun¬
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In ſolchen Lagen fragte er ſich immer von neuem:
»iſt vielleicht Joachime wie du, beſſer, weicher, we¬
niger koket als ſie ſcheint? und warum willſt du ſie
nach einem aͤußern Schein verdammen, der ja auch der
deinige »iſt.« Ihr Betragen ratifizirte ſelten dieſe
guten Vermuthungen oder es widerlegte ſie gar: gleich¬
wohl fuhr er fort, ſich neuen Widerlegungen auszu¬
ſetzen und Ratifikationen zu begehren. Das Beduͤrf¬
niß zu lieben zwingt zu groͤßern Thorheiten als die
Liebe ſelber: Viktor ließ ſich jede Woche eine Voll¬
kommenheit mehr vom weiblichen Ideal abdingen,
fuͤr das er wie fuͤr den unbekannten Gott ſchon ſeit
Jahren die Altaͤre in ſeinem Kopfe fertig hatte.
Unter dieſem Abdingen waͤre der ganze December
verfloſſen, waͤre nicht der erſte Weihnachtstag ge¬
weſen.
Am erſten Weihnachtstage, wo er hinter jedem
Fenſter lachende Geſichter und Heſperiden-Gaͤrten
ſah, wollt' er auch froͤhlich ſeyn und flog unter den
Kirchenmuſiken in Joachimens Toilettenzimmer, um
da ſich ſelber eine zu machen. Er beſcheere ihr,
ſagte er, einen Flaſchenkeller aus Likoͤren, ein ganzes
Lager von Rataffia, weil er wiſſe, wie Damen traͤn¬
ken. Als er endlich ſeinen Lagerbaum voll Bouteil¬
len aus der — Taſche zog: war's eine elende kleine
Schachtel voll Baumwolle, in der nette Bouteillen
wohlriechender Waſſer, faſt von der Laͤnge der Zaun¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/184>, abgerufen am 24.11.2024.
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