len Stube aus seiner dunkeln die Liebe sah, die Hände verknüpfte, Lippen zusammendrückte und Au¬ gen und Seelen vermischte? -- Zu einer andern Zeit würd' er über den Waisenhausprediger und über zwei Armenkatecheten gelächelt haben; aber heute konnt' er nur darüber seufzen und es ist eine sanfte Schönheitslinie an seinem innern Menschen, daß er den armen Menschen das vergönnte, was er entbehrte: "ach ihr seid glücklich, sagte er -- o "liebt ench recht, presset die armen klopfenden ver¬ "gänglichen Herzen heiß an einander, eh' sie der "Flügel der Zeit zerschlägt und glühet an einander "in der kurzen Minute des Lebens und wechselt eure "Thränen und Küße, eh die Augen und Lippen im "Grabe erfrieren -- ach ihr seid glücklicher als ich, "der ich das Herz voll Liebe niemand geben kann ["]als den Würmern des Grabes und auf dessen Sarg "ein Tischler die Ueberschrift, die wie ich mit Erde "bedeckt wird, färben soll: "ach ihr guten Menschen, "ihr habt mich nicht geliebt und ich war euch doch "so gut!" --
Jedes glückliche Lächeln, jeder flötende Violinen¬ zug, jeder Gedanke wurde jetzt seinem von Thränen umgebenen weichen Herzen zur harten spitzen Ecke, so wie einer Hand, die sich in Wasser untertaucht, alles hart anzufühlen wird.
Seine
len Stube aus ſeiner dunkeln die Liebe ſah, die Haͤnde verknuͤpfte, Lippen zuſammendruͤckte und Au¬ gen und Seelen vermiſchte? — Zu einer andern Zeit wuͤrd' er uͤber den Waiſenhausprediger und uͤber zwei Armenkatecheten gelaͤchelt haben; aber heute konnt' er nur daruͤber ſeufzen und es iſt eine ſanfte Schoͤnheitslinie an ſeinem innern Menſchen, daß er den armen Menſchen das vergoͤnnte, was er entbehrte: »ach ihr ſeid gluͤcklich, ſagte er — o »liebt ench recht, preſſet die armen klopfenden ver¬ »gaͤnglichen Herzen heiß an einander, eh' ſie der »Fluͤgel der Zeit zerſchlaͤgt und gluͤhet an einander »in der kurzen Minute des Lebens und wechſelt eure »Thraͤnen und Kuͤße, eh die Augen und Lippen im »Grabe erfrieren — ach ihr ſeid gluͤcklicher als ich, »der ich das Herz voll Liebe niemand geben kann [»]als den Wuͤrmern des Grabes und auf deſſen Sarg »ein Tiſchler die Ueberſchrift, die wie ich mit Erde »bedeckt wird, faͤrben ſoll: »ach ihr guten Menſchen, »ihr habt mich nicht geliebt und ich war euch doch »ſo gut!« —
Jedes gluͤckliche Laͤcheln, jeder floͤtende Violinen¬ zug, jeder Gedanke wurde jetzt ſeinem von Thraͤnen umgebenen weichen Herzen zur harten ſpitzen Ecke, ſo wie einer Hand, die ſich in Waſſer untertaucht, alles hart anzufuͤhlen wird.
Seine
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len Stube aus ſeiner dunkeln die Liebe ſah, die
Haͤnde verknuͤpfte, Lippen zuſammendruͤckte und Au¬
gen und Seelen vermiſchte? — Zu einer andern
Zeit wuͤrd' er uͤber den Waiſenhausprediger und
uͤber zwei Armenkatecheten gelaͤchelt haben; aber
heute konnt' er nur daruͤber ſeufzen und es iſt eine
ſanfte Schoͤnheitslinie an ſeinem innern Menſchen,
daß er den armen Menſchen das vergoͤnnte, was er
entbehrte: »ach ihr ſeid gluͤcklich, ſagte er — o
»liebt ench recht, preſſet die armen klopfenden ver¬
»gaͤnglichen Herzen heiß an einander, eh' ſie der
»Fluͤgel der Zeit zerſchlaͤgt und gluͤhet an einander
»in der kurzen Minute des Lebens und wechſelt eure
»Thraͤnen und Kuͤße, eh die Augen und Lippen im
»Grabe erfrieren — ach ihr ſeid gluͤcklicher als ich,
»der ich das Herz voll Liebe niemand geben kann
»als den Wuͤrmern des Grabes und auf deſſen Sarg
»ein Tiſchler die Ueberſchrift, die wie ich mit Erde
»bedeckt wird, faͤrben ſoll: »ach ihr guten Menſchen,
»ihr habt mich nicht geliebt und ich war euch doch
»ſo gut!« —
Jedes gluͤckliche Laͤcheln, jeder floͤtende Violinen¬
zug, jeder Gedanke wurde jetzt ſeinem von Thraͤnen
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Zweites Heftlein. Berlin, 1795, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus02_1795/106>, abgerufen am 23.11.2024.
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