den Seidenpudel noch nicht ausgekämmt. -- Seebaß brachte ein Billet an Flamin:
"Ich sehe Sie, mein Theuerster, heute nicht. "Mich binden drei Grazien an; und die dritte ha¬ "ben Sie selber geschickt. Sagen Sie Ihrem brit¬ "tischen Freunde, er soll mich lieben, da ich Sie "liebe. Ohne Sympathie kann wohl die Chirurgie "bestehen, aber nicht die Freundschaft.
Ihr Matthieu.
Ein närrisches Billet! Als Viktor hörte, daß Agathe die dritte Grazie sey: so war ihm ein gro¬ ßes Loch in den Vorhang des Theaters geschnitten, auf dem Matthieu Flamins Freund und Agathens -- ersten Liebhaber machte. Nichts ist fataler als ein Nest worin lauter Brüder oder lauter Schwestern sitzen: gemischt zu einer bunten Reihe muß das Nest seyn, Brüder und Schwestern nämlich schichtweise gepackt, so daß ein ehrlicher pastor fido kommen und nach dem Bruder fragen kann, wenn er blos nach der Schwester aus ist; und so muß auch die Liebha¬ berin eines Bruders durchaus und noch nöthiger eine Schwester haben, deren Freundin sie ist und die der Henkel und Präsentierteller am Bruder wird. Unsre türkische Dezenz verlangte also, daß Matthieu mit seinem Operngucker nach Flamin zielte, um Agathen zu sehen; und daß Klotilde diese besuchte, da Fla¬
Hesperus. I. Th. F
den Seidenpudel noch nicht ausgekaͤmmt. — Seebaß brachte ein Billet an Flamin:
»Ich ſehe Sie, mein Theuerſter, heute nicht. »Mich binden drei Grazien an; und die dritte ha¬ »ben Sie ſelber geſchickt. Sagen Sie Ihrem brit¬ »tiſchen Freunde, er ſoll mich lieben, da ich Sie »liebe. Ohne Sympathie kann wohl die Chirurgie »beſtehen, aber nicht die Freundſchaft.
Ihr Matthieu.
Ein naͤrriſches Billet! Als Viktor hoͤrte, daß Agathe die dritte Grazie ſey: ſo war ihm ein gro¬ ßes Loch in den Vorhang des Theaters geſchnitten, auf dem Matthieu Flamins Freund und Agathens — erſten Liebhaber machte. Nichts iſt fataler als ein Neſt worin lauter Bruͤder oder lauter Schweſtern ſitzen: gemiſcht zu einer bunten Reihe muß das Neſt ſeyn, Bruͤder und Schweſtern naͤmlich ſchichtweiſe gepackt, ſo daß ein ehrlicher pastor fido kommen und nach dem Bruder fragen kann, wenn er blos nach der Schweſter aus iſt; und ſo muß auch die Liebha¬ berin eines Bruders durchaus und noch noͤthiger eine Schweſter haben, deren Freundin ſie iſt und die der Henkel und Praͤſentierteller am Bruder wird. Unſre tuͤrkiſche Dezenz verlangte alſo, daß Matthieu mit ſeinem Operngucker nach Flamin zielte, um Agathen zu ſehen; und daß Klotilde dieſe beſuchte, da Fla¬
Heſperus. I. Th. F
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den Seidenpudel noch nicht ausgekaͤmmt. — Seebaß
brachte ein Billet an Flamin:
»Ich ſehe Sie, mein Theuerſter, heute nicht.
»Mich binden drei Grazien an; und die dritte ha¬
»ben Sie ſelber geſchickt. Sagen Sie Ihrem brit¬
»tiſchen Freunde, er ſoll mich lieben, da ich Sie
»liebe. Ohne Sympathie kann wohl die Chirurgie
»beſtehen, aber nicht die Freundſchaft.
Ihr
Matthieu.
Ein naͤrriſches Billet! Als Viktor hoͤrte, daß
Agathe die dritte Grazie ſey: ſo war ihm ein gro¬
ßes Loch in den Vorhang des Theaters geſchnitten,
auf dem Matthieu Flamins Freund und Agathens —
erſten Liebhaber machte. Nichts iſt fataler als ein
Neſt worin lauter Bruͤder oder lauter Schweſtern
ſitzen: gemiſcht zu einer bunten Reihe muß das Neſt
ſeyn, Bruͤder und Schweſtern naͤmlich ſchichtweiſe
gepackt, ſo daß ein ehrlicher pastor fido kommen und
nach dem Bruder fragen kann, wenn er blos nach
der Schweſter aus iſt; und ſo muß auch die Liebha¬
berin eines Bruders durchaus und noch noͤthiger eine
Schweſter haben, deren Freundin ſie iſt und die der
Henkel und Praͤſentierteller am Bruder wird. Unſre
tuͤrkiſche Dezenz verlangte alſo, daß Matthieu mit
ſeinem Operngucker nach Flamin zielte, um Agathen
zu ſehen; und daß Klotilde dieſe beſuchte, da Fla¬
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/92>, abgerufen am 22.12.2024.
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