Reisenden, den Tempel, der um die Alpenspitze hängt, von unten für schwebend und bodenlos ansehen, weil sie nicht in der Höhe auf dem großen Raume des Tempels selber stehen, weil sie nicht wissen, daß wir in der Freundschaft etwas Höheres als unser Ich, das nicht die Quelle und der Gegenstand der Liebe zugleich seyn kann, achten und lieben, etwas Höheres, nämlich die Verkörperung und den Wieder¬ schein der Tugend, die wir an uns nur billigen, aber an andern erst lieben.
Ach können denn höhere Wesen die Schwächen von Schatten-Gruppen strenge berechnen, die einan¬ der festzuhalten suchen, von Nordwinden aus einan¬ der gedrängt -- die von einander die edle unsichtbare Gestalt an sich drücken wollen, worüber dick und plump die Erdenlarve hängt -- und die einander in Gräber nachfallen, worein die Beweinten ihre Wei¬ nenden ziehen?
Reiſenden, den Tempel, der um die Alpenſpitze haͤngt, von unten fuͤr ſchwebend und bodenlos anſehen, weil ſie nicht in der Hoͤhe auf dem großen Raume des Tempels ſelber ſtehen, weil ſie nicht wiſſen, daß wir in der Freundſchaft etwas Hoͤheres als unſer Ich, das nicht die Quelle und der Gegenſtand der Liebe zugleich ſeyn kann, achten und lieben, etwas Hoͤheres, naͤmlich die Verkoͤrperung und den Wieder¬ ſchein der Tugend, die wir an uns nur billigen, aber an andern erſt lieben.
Ach koͤnnen denn hoͤhere Weſen die Schwaͤchen von Schatten-Gruppen ſtrenge berechnen, die einan¬ der feſtzuhalten ſuchen, von Nordwinden aus einan¬ der gedraͤngt — die von einander die edle unſichtbare Geſtalt an ſich druͤcken wollen, woruͤber dick und plump die Erdenlarve haͤngt — und die einander in Graͤber nachfallen, worein die Beweinten ihre Wei¬ nenden ziehen?
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Reiſenden, den Tempel, der um die Alpenſpitze haͤngt,
von unten fuͤr ſchwebend und bodenlos anſehen, weil
ſie nicht in der Hoͤhe auf dem großen Raume des
Tempels ſelber ſtehen, weil ſie nicht wiſſen, daß wir
in der Freundſchaft etwas Hoͤheres als unſer Ich,
das nicht die Quelle und der Gegenſtand der
Liebe zugleich ſeyn kann, achten und lieben, etwas
Hoͤheres, naͤmlich die Verkoͤrperung und den Wieder¬
ſchein der Tugend, die wir an uns nur billigen,
aber an andern erſt lieben.
Ach koͤnnen denn hoͤhere Weſen die Schwaͤchen
von Schatten-Gruppen ſtrenge berechnen, die einan¬
der feſtzuhalten ſuchen, von Nordwinden aus einan¬
der gedraͤngt — die von einander die edle unſichtbare
Geſtalt an ſich druͤcken wollen, woruͤber dick und
plump die Erdenlarve haͤngt — und die einander in
Graͤber nachfallen, worein die Beweinten ihre Wei¬
nenden ziehen?
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/88>, abgerufen am 03.02.2025.
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