"Wahrhaftig wenn ich nicht Epiktets Volumen als "einen Schlangenstein an mich und meine Wunden "legte, damit der Stein den moralischen Gift her¬ "aussaugt, sondern wenn ich mit einer Brust voll "materia peccans aus dem Hause ginge: was würde "denn der Hof von mir denken? . . . Ach ich meine "es doch ernsthaft: der arme innere Mensch -- von "dem Wechselfieber der Leidenschaften ausgetrocknet "-- vom Herzklopfen der Freude ermattet -- vom "Wundfieber der Leiden glühend -- braucht wie ein "andrer Kranker Einsamkeit und Stille und Ruhe, "damit er genese." Wenn er das Wort Ruhe nannte, war sein Inneres bis zur Auflösung be¬ wegt; so sehr hatten schon die Leidenschaften sein Blut umgewühlt und sein Herz gebogen.
Jetzt gingen beide in schweigender Einigkeit wie¬ der zu Eymann. "Ich habe eine Bitte für meinen "Flamin." Welche, sagte der Lord. "Ich weiß sie "noch nicht, aber er schrieb mir, er werde sie mir "bald sagen." -- "Meine an ihn ist, sagte der Lord, daß er wenn er employirt werden will, mehr die Pandekten als die Taktik und statt des Rapiers die Feder liebe." -- Der Sohn wurde zu höflich vom Vater behandelt als daß er zur Bitte um seine Geheimnisse -- besonders um das, wo Jenners Sohn sey -- den Muth besessen hätte. Ich be¬ handle den Leser eben so sein und ich hoffe, er hat
»Wahrhaftig wenn ich nicht Epiktets Volumen als »einen Schlangenſtein an mich und meine Wunden »legte, damit der Stein den moraliſchen Gift her¬ »ausſaugt, ſondern wenn ich mit einer Bruſt voll »materia peccans aus dem Hauſe ginge: was wuͤrde »denn der Hof von mir denken? . . . Ach ich meine »es doch ernſthaft: der arme innere Menſch — von »dem Wechſelfieber der Leidenſchaften ausgetrocknet »— vom Herzklopfen der Freude ermattet — vom »Wundfieber der Leiden gluͤhend — braucht wie ein »andrer Kranker Einſamkeit und Stille und Ruhe, »damit er geneſe.« Wenn er das Wort Ruhe nannte, war ſein Inneres bis zur Aufloͤſung be¬ wegt; ſo ſehr hatten ſchon die Leidenſchaften ſein Blut umgewuͤhlt und ſein Herz gebogen.
Jetzt gingen beide in ſchweigender Einigkeit wie¬ der zu Eymann. »Ich habe eine Bitte fuͤr meinen »Flamin.« Welche, ſagte der Lord. »Ich weiß ſie »noch nicht, aber er ſchrieb mir, er werde ſie mir »bald ſagen.« — »Meine an ihn iſt, ſagte der Lord, daß er wenn er employirt werden will, mehr die Pandekten als die Taktik und ſtatt des Rapiers die Feder liebe.« — Der Sohn wurde zu hoͤflich vom Vater behandelt als daß er zur Bitte um ſeine Geheimniſſe — beſonders um das, wo Jenners Sohn ſey — den Muth beſeſſen haͤtte. Ich be¬ handle den Leſer eben ſo ſein und ich hoffe, er hat
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»Wahrhaftig wenn ich nicht Epiktets Volumen als
»einen Schlangenſtein an mich und meine Wunden
»legte, damit der Stein den moraliſchen Gift her¬
»ausſaugt, ſondern wenn ich mit einer Bruſt voll
»materia peccans aus dem Hauſe ginge: was wuͤrde
»denn der Hof von mir denken? . . . Ach ich meine
»es doch ernſthaft: der arme innere Menſch — von
»dem Wechſelfieber der Leidenſchaften ausgetrocknet
»— vom Herzklopfen der Freude ermattet — vom
»Wundfieber der Leiden gluͤhend — braucht wie ein
»andrer Kranker Einſamkeit und Stille und Ruhe,
»damit er geneſe.« Wenn er das Wort Ruhe
nannte, war ſein Inneres bis zur Aufloͤſung be¬
wegt; ſo ſehr hatten ſchon die Leidenſchaften ſein
Blut umgewuͤhlt und ſein Herz gebogen.
Jetzt gingen beide in ſchweigender Einigkeit wie¬
der zu Eymann. »Ich habe eine Bitte fuͤr meinen
»Flamin.« Welche, ſagte der Lord. »Ich weiß ſie
»noch nicht, aber er ſchrieb mir, er werde ſie mir
»bald ſagen.« — »Meine an ihn iſt, ſagte der
Lord, daß er wenn er employirt werden will, mehr
die Pandekten als die Taktik und ſtatt des Rapiers
die Feder liebe.« — Der Sohn wurde zu hoͤflich
vom Vater behandelt als daß er zur Bitte um ſeine
Geheimniſſe — beſonders um das, wo Jenners
Sohn ſey — den Muth beſeſſen haͤtte. Ich be¬
handle den Leſer eben ſo ſein und ich hoffe, er hat
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/69>, abgerufen am 09.11.2024.
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