Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

"wissen -- das Herz ohnehin nicht -- als ihr Ge¬
"häuse, um etwas hineinzunehmen. . . .

Ich habe dich noch nicht unterbrochen; sagte
der Lord und stand ein wenig.

"Inzwischen fuhr der Sohn fort, wat' ich mit
"größter Lust zur Austerbank hinab . . O mein theu¬
"rer Vater, wie könnt' ich nicht gehen? Warum
"ließ ich nicht bisher ihr krankes Auge aufgebunden,
"damit Sie auf meinem Gesichte keine einzige Ein¬
"wendung gegen Ihre Wünsche erblickten? -- Ach um
"jeden Thron stehen tausend nasse Augen, die von
"verstümmelten Menschen ohne Hände hinaufgerich¬
"tet werden: droben sitzt das eiserne Schicksal in
"Gestalt eines Fürsten und streckt keine Hand aus
" -- warum soll kein weicher Mensch hinaufgehen
"und dem Schicksal die starre Hand führen und mit
"Einer unten tausend Augen trocknen?" -- Horion
"lächelte als wollt' er sagen: Jüngling!

"Aber nur um einige prozessualische Weitläuftig¬
"keiten und Fristen bitt' ich Sie, damit ich Zeit
"bekomme -- stoischer und närrischer zu werden.
"Närrischer mein' ich, vergnügter. Ich möchte un¬
"ter den guten Leuten um uns und neben meinem
"Flamin und jetzt im Frühling des Kalenders und
"in dem meiner Jahre und eh' das Lebensschif im
"Alter einfriert, nur noch zwei Monate lachen und
"zu Fuß gehen. Stoisch muß ich ohnehin werden.

»wiſſen — das Herz ohnehin nicht — als ihr Ge¬
»haͤuſe, um etwas hineinzunehmen. . . .

Ich habe dich noch nicht unterbrochen; ſagte
der Lord und ſtand ein wenig.

»Inzwiſchen fuhr der Sohn fort, wat' ich mit
»groͤßter Luſt zur Auſterbank hinab . . O mein theu¬
»rer Vater, wie koͤnnt' ich nicht gehen? Warum
»ließ ich nicht bisher ihr krankes Auge aufgebunden,
»damit Sie auf meinem Geſichte keine einzige Ein¬
»wendung gegen Ihre Wuͤnſche erblickten? — Ach um
»jeden Thron ſtehen tauſend naſſe Augen, die von
»verſtuͤmmelten Menſchen ohne Haͤnde hinaufgerich¬
»tet werden: droben ſitzt das eiſerne Schickſal in
»Geſtalt eines Fuͤrſten und ſtreckt keine Hand aus
» — warum ſoll kein weicher Menſch hinaufgehen
»und dem Schickſal die ſtarre Hand fuͤhren und mit
»Einer unten tauſend Augen trocknen?« — Horion
»laͤchelte als wollt' er ſagen: Juͤngling!

»Aber nur um einige prozeſſualiſche Weitlaͤuftig¬
»keiten und Friſten bitt' ich Sie, damit ich Zeit
»bekomme — ſtoiſcher und naͤrriſcher zu werden.
»Naͤrriſcher mein' ich, vergnuͤgter. Ich moͤchte un¬
»ter den guten Leuten um uns und neben meinem
»Flamin und jetzt im Fruͤhling des Kalenders und
»in dem meiner Jahre und eh' das Lebensſchif im
»Alter einfriert, nur noch zwei Monate lachen und
»zu Fuß gehen. Stoiſch muß ich ohnehin werden.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0068" n="57"/>
»wi&#x017F;&#x017F;en &#x2014; das Herz ohnehin nicht &#x2014; als ihr Ge¬<lb/>
»ha&#x0364;u&#x017F;e, um etwas hineinzunehmen. . . .</p><lb/>
        <p>Ich habe dich noch nicht <hi rendition="#g">unterbrochen</hi>; &#x017F;agte<lb/>
der Lord und &#x017F;tand ein wenig.</p><lb/>
        <p>»Inzwi&#x017F;chen fuhr der Sohn fort, wat' ich mit<lb/>
»gro&#x0364;ßter Lu&#x017F;t zur Au&#x017F;terbank hinab . . O mein theu¬<lb/>
»rer Vater, wie ko&#x0364;nnt' ich nicht gehen? Warum<lb/>
»ließ ich nicht bisher ihr krankes Auge aufgebunden,<lb/>
»damit Sie auf meinem Ge&#x017F;ichte keine einzige Ein¬<lb/>
»wendung gegen Ihre Wu&#x0364;n&#x017F;che erblickten? &#x2014; Ach um<lb/>
»jeden Thron &#x017F;tehen tau&#x017F;end na&#x017F;&#x017F;e Augen, die von<lb/>
»ver&#x017F;tu&#x0364;mmelten Men&#x017F;chen ohne Ha&#x0364;nde hinaufgerich¬<lb/>
»tet werden: droben &#x017F;itzt das ei&#x017F;erne Schick&#x017F;al in<lb/>
»Ge&#x017F;talt eines Fu&#x0364;r&#x017F;ten und &#x017F;treckt keine Hand aus<lb/>
» &#x2014; warum &#x017F;oll kein weicher Men&#x017F;ch hinaufgehen<lb/>
»und dem Schick&#x017F;al die &#x017F;tarre Hand fu&#x0364;hren und mit<lb/>
»Einer unten tau&#x017F;end Augen trocknen?« &#x2014; Horion<lb/>
»la&#x0364;chelte als wollt' er &#x017F;agen: Ju&#x0364;ngling!</p><lb/>
        <p>»Aber nur um einige proze&#x017F;&#x017F;uali&#x017F;che Weitla&#x0364;uftig¬<lb/>
»keiten und Fri&#x017F;ten bitt' ich Sie, damit ich Zeit<lb/>
»bekomme &#x2014; &#x017F;toi&#x017F;cher und na&#x0364;rri&#x017F;cher zu werden.<lb/>
»Na&#x0364;rri&#x017F;cher mein' ich, vergnu&#x0364;gter. Ich mo&#x0364;chte un¬<lb/>
»ter den guten Leuten um uns und neben meinem<lb/>
»Flamin und jetzt im Fru&#x0364;hling des Kalenders und<lb/>
»in dem meiner Jahre und eh' das Lebens&#x017F;chif im<lb/>
»Alter einfriert, nur noch zwei Monate lachen und<lb/>
»zu Fuß gehen. Stoi&#x017F;ch muß ich ohnehin werden.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0068] »wiſſen — das Herz ohnehin nicht — als ihr Ge¬ »haͤuſe, um etwas hineinzunehmen. . . . Ich habe dich noch nicht unterbrochen; ſagte der Lord und ſtand ein wenig. »Inzwiſchen fuhr der Sohn fort, wat' ich mit »groͤßter Luſt zur Auſterbank hinab . . O mein theu¬ »rer Vater, wie koͤnnt' ich nicht gehen? Warum »ließ ich nicht bisher ihr krankes Auge aufgebunden, »damit Sie auf meinem Geſichte keine einzige Ein¬ »wendung gegen Ihre Wuͤnſche erblickten? — Ach um »jeden Thron ſtehen tauſend naſſe Augen, die von »verſtuͤmmelten Menſchen ohne Haͤnde hinaufgerich¬ »tet werden: droben ſitzt das eiſerne Schickſal in »Geſtalt eines Fuͤrſten und ſtreckt keine Hand aus » — warum ſoll kein weicher Menſch hinaufgehen »und dem Schickſal die ſtarre Hand fuͤhren und mit »Einer unten tauſend Augen trocknen?« — Horion »laͤchelte als wollt' er ſagen: Juͤngling! »Aber nur um einige prozeſſualiſche Weitlaͤuftig¬ »keiten und Friſten bitt' ich Sie, damit ich Zeit »bekomme — ſtoiſcher und naͤrriſcher zu werden. »Naͤrriſcher mein' ich, vergnuͤgter. Ich moͤchte un¬ »ter den guten Leuten um uns und neben meinem »Flamin und jetzt im Fruͤhling des Kalenders und »in dem meiner Jahre und eh' das Lebensſchif im »Alter einfriert, nur noch zwei Monate lachen und »zu Fuß gehen. Stoiſch muß ich ohnehin werden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/68
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/68>, abgerufen am 25.11.2024.