ihr den Giftsack darin und einen dramatisch durchge¬ führten Plan auf, den sie bisher für Nachsicht angesehen hatte. Alles Edle entbrannte in ihr vor Scham und Zorn. Es war ihr ohnehin unmöglich, alle ihre senkrecht laufenden Wurzeln aus dem Lande der Freiheit zu ziehen und nach Deutschland mitzu¬ gehen. Aber nicht zufrieden, von Le Baut, der dem Fürsten nach Flachsenfingen nachreisete, durch Meere geschieden zu seyn, trennte sie sich auch durch einen Scheidebrief ganz vom schmuzigen Günstling ab. Sie muste dem Le Baut ihr zweites Kind, seine wahre Tochter lassen; aber das erste, den Infanten, befestigte sie an ihrer mütterlichen Brust. Le Baut litt es gern und dachte, das Baugerüst gehört ohne¬ hin nach der Baurede in den Ofen des Hauses.
Als er unter dem deutschen Thronhimmel ankam: war seine Sonne (Januar) in der Sommer-Son¬ nenwende, die von abnehmender Wärme almählig zu kalten Stürmen übergieng. Januars Liebe konnte nur steigen und fallen, aber nicht stehen und das größte Verbrechen war bei ihm -- Abwesenheit. Da Le Baut jetzt ohne Frau und Kind mit dem Lord verglichen wurde, der als der Tresorier und Siegel¬ bewahrer zweier in London gelassenen Schätze unter Januars Thron-Plafond erschien: so wurde das Kassationsdekret, das anfangs in sympathetischer Dinte auf Jenners Gesicht geschrieben war, dem
ihr den Giftſack darin und einen dramatiſch durchge¬ fuͤhrten Plan auf, den ſie bisher fuͤr Nachſicht angeſehen hatte. Alles Edle entbrannte in ihr vor Scham und Zorn. Es war ihr ohnehin unmoͤglich, alle ihre ſenkrecht laufenden Wurzeln aus dem Lande der Freiheit zu ziehen und nach Deutſchland mitzu¬ gehen. Aber nicht zufrieden, von Le Baut, der dem Fuͤrſten nach Flachſenfingen nachreiſete, durch Meere geſchieden zu ſeyn, trennte ſie ſich auch durch einen Scheidebrief ganz vom ſchmuzigen Guͤnſtling ab. Sie muſte dem Le Baut ihr zweites Kind, ſeine wahre Tochter laſſen; aber das erſte, den Infanten, befeſtigte ſie an ihrer muͤtterlichen Bruſt. Le Baut litt es gern und dachte, das Baugeruͤſt gehoͤrt ohne¬ hin nach der Baurede in den Ofen des Hauſes.
Als er unter dem deutſchen Thronhimmel ankam: war ſeine Sonne (Januar) in der Sommer-Son¬ nenwende, die von abnehmender Waͤrme almaͤhlig zu kalten Stuͤrmen uͤbergieng. Januars Liebe konnte nur ſteigen und fallen, aber nicht ſtehen und das groͤßte Verbrechen war bei ihm — Abweſenheit. Da Le Baut jetzt ohne Frau und Kind mit dem Lord verglichen wurde, der als der Treſorier und Siegel¬ bewahrer zweier in London gelaſſenen Schaͤtze unter Januars Thron-Plafond erſchien: ſo wurde das Kaſſationsdekret, das anfangs in ſympathetiſcher Dinte auf Jenners Geſicht geſchrieben war, dem
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ihr den Giftſack darin und einen dramatiſch durchge¬
fuͤhrten Plan auf, den ſie bisher fuͤr Nachſicht
angeſehen hatte. Alles Edle entbrannte in ihr vor
Scham und Zorn. Es war ihr ohnehin unmoͤglich,
alle ihre ſenkrecht laufenden Wurzeln aus dem Lande
der Freiheit zu ziehen und nach Deutſchland mitzu¬
gehen. Aber nicht zufrieden, von Le Baut, der dem
Fuͤrſten nach Flachſenfingen nachreiſete, durch Meere
geſchieden zu ſeyn, trennte ſie ſich auch durch einen
Scheidebrief ganz vom ſchmuzigen Guͤnſtling ab.
Sie muſte dem Le Baut ihr zweites Kind, ſeine
wahre Tochter laſſen; aber das erſte, den Infanten,
befeſtigte ſie an ihrer muͤtterlichen Bruſt. Le Baut
litt es gern und dachte, das Baugeruͤſt gehoͤrt ohne¬
hin nach der Baurede in den Ofen des Hauſes.
Als er unter dem deutſchen Thronhimmel ankam:
war ſeine Sonne (Januar) in der Sommer-Son¬
nenwende, die von abnehmender Waͤrme almaͤhlig
zu kalten Stuͤrmen uͤbergieng. Januars Liebe konnte
nur ſteigen und fallen, aber nicht ſtehen und das
groͤßte Verbrechen war bei ihm — Abweſenheit. Da
Le Baut jetzt ohne Frau und Kind mit dem Lord
verglichen wurde, der als der Treſorier und Siegel¬
bewahrer zweier in London gelaſſenen Schaͤtze unter
Januars Thron-Plafond erſchien: ſo wurde das
Kaſſationsdekret, das anfangs in ſympathetiſcher
Dinte auf Jenners Geſicht geſchrieben war, dem
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/61>, abgerufen am 25.11.2024.
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