"ist für nichts als den Magen des Menschen ge¬ "macht; die Vergangenheit besteht aus der Ge¬ "schichte, die wieder eine zusammengeschobene von "Ermordeten bewohnte Gegenwart, und blos ein "Deklinatorium unsrer ewigen horizontalen "Abweichungen vom kalten Pole der Wahrheit, ein "Inklinatorium unsrer senkrechten von der "Sonne der Tugend ist -- Es bleibt also dem Men¬ "schen der in sich glücklicher als außer sich seyn "will, nichts übrig als die Zukunft oder Phanta¬ "sie, d. h. der Roman. Da nun eine Biographie "von geschikten Händen leicht zu einem Roman zu "veredeln ist, wie wir bei Voltaires Karl und Pe¬ "ter und an den Selbstbiographien sehen: so über¬ "nehm' ich das biographische Werk, unter der Be¬ "dingung, daß darin die Wahrheit nur meine Ge¬ "sellschaftsdame, aber nicht meine Führerin sey."
"In Visitenzimmern macht man sich durch allge¬ "meine Satiren verhast, weil sie jeder auf sich ziehen "kann: persönliche aber rechnet man zu den Pflichten "der Medisance und verzeiht sie, weil man hoft, der "Satiriker falle mehr die Person als das Laster an. In "Büchern aber ist es gerade umgekehrt, und es ist mir "falls einige oder mehrere Spitzbuben in unsrer Bio¬ "graphie wie ich hoffe Rollen haben, das Inkognito "derselben ganz lieb. Ein Satiriker ist hierin nicht
»iſt fuͤr nichts als den Magen des Menſchen ge¬ »macht; die Vergangenheit beſteht aus der Ge¬ »ſchichte, die wieder eine zuſammengeſchobene von »Ermordeten bewohnte Gegenwart, und blos ein »Deklinatorium unſrer ewigen horizontalen »Abweichungen vom kalten Pole der Wahrheit, ein »Inklinatorium unſrer ſenkrechten von der »Sonne der Tugend iſt — Es bleibt alſo dem Men¬ »ſchen der in ſich gluͤcklicher als außer ſich ſeyn »will, nichts uͤbrig als die Zukunft oder Phanta¬ »ſie, d. h. der Roman. Da nun eine Biographie »von geſchikten Haͤnden leicht zu einem Roman zu »veredeln iſt, wie wir bei Voltaires Karl und Pe¬ »ter und an den Selbſtbiographien ſehen: ſo uͤber¬ »nehm' ich das biographiſche Werk, unter der Be¬ »dingung, daß darin die Wahrheit nur meine Ge¬ »ſellſchaftsdame, aber nicht meine Fuͤhrerin ſey.«
»In Viſitenzimmern macht man ſich durch allge¬ »meine Satiren verhaſt, weil ſie jeder auf ſich ziehen »kann: perſoͤnliche aber rechnet man zu den Pflichten »der Mediſance und verzeiht ſie, weil man hoft, der »Satiriker falle mehr die Perſon als das Laſter an. In »Buͤchern aber iſt es gerade umgekehrt, und es iſt mir »falls einige oder mehrere Spitzbuben in unſrer Bio¬ »graphie wie ich hoffe Rollen haben, das Inkognito »derſelben ganz lieb. Ein Satiriker iſt hierin nicht
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»iſt fuͤr nichts als den Magen des Menſchen ge¬
»macht; die Vergangenheit beſteht aus der Ge¬
»ſchichte, die wieder eine zuſammengeſchobene von
»Ermordeten bewohnte Gegenwart, und blos ein
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»Sonne der Tugend iſt — Es bleibt alſo dem Men¬
»ſchen der in ſich gluͤcklicher als außer ſich ſeyn
»will, nichts uͤbrig als die Zukunft oder Phanta¬
»ſie, d. h. der Roman. Da nun eine Biographie
»von geſchikten Haͤnden leicht zu einem Roman zu
»veredeln iſt, wie wir bei Voltaires Karl und Pe¬
»ter und an den Selbſtbiographien ſehen: ſo uͤber¬
»nehm' ich das biographiſche Werk, unter der Be¬
»dingung, daß darin die Wahrheit nur meine Ge¬
»ſellſchaftsdame, aber nicht meine Fuͤhrerin ſey.«
»In Viſitenzimmern macht man ſich durch allge¬
»meine Satiren verhaſt, weil ſie jeder auf ſich ziehen
»kann: perſoͤnliche aber rechnet man zu den Pflichten
»der Mediſance und verzeiht ſie, weil man hoft, der
»Satiriker falle mehr die Perſon als das Laſter an. In
»Buͤchern aber iſt es gerade umgekehrt, und es iſt mir
»falls einige oder mehrere Spitzbuben in unſrer Bio¬
»graphie wie ich hoffe Rollen haben, das Inkognito
»derſelben ganz lieb. Ein Satiriker iſt hierin nicht
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/51>, abgerufen am 24.11.2024.
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