jede Minute, auch zu ermatten. Uns alle dauert der auf dem Schachterrain herumgesetzte Kammer¬ herr, der wie eine Kokette besorgt, nicht besiegt zu werden. Es war für ein weiches Auge, das doch dem Schwachen lieber als dem Filou vergiebt, nicht mehr auszuhalten: Viktor trat unter tausend Ent¬ schuldigungen gegen den Schwachen und mit Boßheit gegen den Boßhaften in die Heckjagd ein und nö¬ thigte den Hofjunker, seinen Rath und seine Chari¬ tativsubsidien anzunehmen und zu diktirten Kriegs¬ operationen von solchem Werth zu greifen, daß der Mann mit dem Amt der kammerherrlichen Schlüssel endlich trotz seinen Befürchtungen und trotz den schlimmsten Adspekten -- verlor. Alle Anwesende erriethen alle Anwesende, wie Fürsten einander in ihren öffentlichen -- Komödienzetteln.
Er hatte endlich die Abschiedsaudienz, aber ge¬ ringen Trost: die Gestalt, unter der alle seine Schönheitsideale nur als Schildhalter und Karnati¬ den standen, war noch kälter als bei dem Empfan¬ ge und immer bloß das Echo der elterlichen Höflich¬ keit. Das einzige, was ihn noch aufrecht erhielt und beruhigte, war eine -- Distel, nämlich eine op¬ tische auf den musivischen Fußboden gesäete. Er nahm nämlich wahr, daß Klotilde diesem Blumen¬ stück, das sie doch kennen mußte, unter dem Abschiede mit dem Fuße auswich als wär' es das Original.
jede Minute, auch zu ermatten. Uns alle dauert der auf dem Schachterrain herumgeſetzte Kammer¬ herr, der wie eine Kokette beſorgt, nicht beſiegt zu werden. Es war fuͤr ein weiches Auge, das doch dem Schwachen lieber als dem Filou vergiebt, nicht mehr auszuhalten: Viktor trat unter tauſend Ent¬ ſchuldigungen gegen den Schwachen und mit Boßheit gegen den Boßhaften in die Heckjagd ein und noͤ¬ thigte den Hofjunker, ſeinen Rath und ſeine Chari¬ tativſubſidien anzunehmen und zu diktirten Kriegs¬ operationen von ſolchem Werth zu greifen, daß der Mann mit dem Amt der kammerherrlichen Schluͤſſel endlich trotz ſeinen Befuͤrchtungen und trotz den ſchlimmſten Adſpekten — verlor. Alle Anweſende erriethen alle Anweſende, wie Fuͤrſten einander in ihren oͤffentlichen — Komoͤdienzetteln.
Er hatte endlich die Abſchiedsaudienz, aber ge¬ ringen Troſt: die Geſtalt, unter der alle ſeine Schoͤnheitsideale nur als Schildhalter und Karnati¬ den ſtanden, war noch kaͤlter als bei dem Empfan¬ ge und immer bloß das Echo der elterlichen Hoͤflich¬ keit. Das einzige, was ihn noch aufrecht erhielt und beruhigte, war eine — Diſtel, naͤmlich eine op¬ tiſche auf den muſiviſchen Fußboden geſaͤete. Er nahm naͤmlich wahr, daß Klotilde dieſem Blumen¬ ſtuͤck, das ſie doch kennen mußte, unter dem Abſchiede mit dem Fuße auswich als waͤr' es das Original.
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jede Minute, auch zu ermatten. Uns alle dauert
der auf dem Schachterrain herumgeſetzte Kammer¬
herr, der wie eine Kokette beſorgt, nicht beſiegt zu
werden. Es war fuͤr ein weiches Auge, das doch
dem Schwachen lieber als dem Filou vergiebt, nicht
mehr auszuhalten: Viktor trat unter tauſend Ent¬
ſchuldigungen gegen den Schwachen und mit Boßheit
gegen den Boßhaften in die Heckjagd ein und noͤ¬
thigte den Hofjunker, ſeinen Rath und ſeine Chari¬
tativſubſidien anzunehmen und zu diktirten Kriegs¬
operationen von ſolchem Werth zu greifen, daß der
Mann mit dem Amt der kammerherrlichen Schluͤſſel
endlich trotz ſeinen Befuͤrchtungen und trotz den
ſchlimmſten Adſpekten — verlor. Alle Anweſende
erriethen alle Anweſende, wie Fuͤrſten einander in
ihren oͤffentlichen — Komoͤdienzetteln.
Er hatte endlich die Abſchiedsaudienz, aber ge¬
ringen Troſt: die Geſtalt, unter der alle ſeine
Schoͤnheitsideale nur als Schildhalter und Karnati¬
den ſtanden, war noch kaͤlter als bei dem Empfan¬
ge und immer bloß das Echo der elterlichen Hoͤflich¬
keit. Das einzige, was ihn noch aufrecht erhielt
und beruhigte, war eine — Diſtel, naͤmlich eine op¬
tiſche auf den muſiviſchen Fußboden geſaͤete. Er
nahm naͤmlich wahr, daß Klotilde dieſem Blumen¬
ſtuͤck, das ſie doch kennen mußte, unter dem Abſchiede
mit dem Fuße auswich als waͤr' es das Original.
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/391>, abgerufen am 22.11.2024.
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