Blutsverwandschaft und Alter nicht geändert; bloß in niedern werden sie es; daher befürcht' ich alle¬ mal, das was ich der Tochter vortrage ennuire die Mutter und ich fange mit Recht, wenn diese kömmt, einen bessern Diskurs an. -- -- Viktor vorbarg seine Kälte leicht aus jener Menschenliebe, die bei ihm so oft in zu gutherzige Schmeichelei unmorali¬ scher Hofnungen ausartete; und wenn eine haben wollte, er sollte sich in sie verlieben; so sagte er: "ich kann doch warlich zum guten Lämgen nicht sa¬ "gen: ich mag nicht." -- Die Wärme gegen Klo¬ tilde verbarg er -- schlecht, nicht weil sie zu stark, sondern gerade weil sie es noch nicht genug war. Es ist natürlich: ein Jüngling von Erziehung kann wenn er will, seine erwiederte Liebe ohne Prokla¬ mation verhüllen und verschweigen, aber eine uner¬ wiederte, eine, die er selber bloß erst Achtung nennt, lässet er aus sich ohne Hüllen lodern. -- Ue¬ brigens bitt' ich die Welt, sich hinzusetzen und zu bedenken, daß mein Held nicht den Teufel im Leibe oder sechzehn Jahre habe, sondern daß er unmöglich eine Liebe für eine Person empfinden könne, die über ihre Gesinnungen wie über ihre Reize eine Mosis- Decke hängt. Liebe beginnt und steigt durchaus nur an der Gegenliebe und mit ihrem wechselseitigen Er¬ rathen. Achtung hat er bloß, aber recht viele, aber eine recht wachsende und ängstliche, kurz seine Ach¬
Blutsverwandſchaft und Alter nicht geaͤndert; bloß in niedern werden ſie es; daher befuͤrcht' ich alle¬ mal, das was ich der Tochter vortrage ennuire die Mutter und ich fange mit Recht, wenn dieſe koͤmmt, einen beſſern Diskurs an. — — Viktor vorbarg ſeine Kaͤlte leicht aus jener Menſchenliebe, die bei ihm ſo oft in zu gutherzige Schmeichelei unmorali¬ ſcher Hofnungen ausartete; und wenn eine haben wollte, er ſollte ſich in ſie verlieben; ſo ſagte er: »ich kann doch warlich zum guten Laͤmgen nicht ſa¬ »gen: ich mag nicht.« — Die Waͤrme gegen Klo¬ tilde verbarg er — ſchlecht, nicht weil ſie zu ſtark, ſondern gerade weil ſie es noch nicht genug war. Es iſt natuͤrlich: ein Juͤngling von Erziehung kann wenn er will, ſeine erwiederte Liebe ohne Prokla¬ mation verhuͤllen und verſchweigen, aber eine uner¬ wiederte, eine, die er ſelber bloß erſt Achtung nennt, laͤſſet er aus ſich ohne Huͤllen lodern. — Ue¬ brigens bitt' ich die Welt, ſich hinzuſetzen und zu bedenken, daß mein Held nicht den Teufel im Leibe oder ſechzehn Jahre habe, ſondern daß er unmoͤglich eine Liebe fuͤr eine Perſon empfinden koͤnne, die uͤber ihre Geſinnungen wie uͤber ihre Reize eine Moſis- Decke haͤngt. Liebe beginnt und ſteigt durchaus nur an der Gegenliebe und mit ihrem wechſelſeitigen Er¬ rathen. Achtung hat er bloß, aber recht viele, aber eine recht wachſende und aͤngſtliche, kurz ſeine Ach¬
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Blutsverwandſchaft und Alter nicht geaͤndert; bloß
in niedern werden ſie es; daher befuͤrcht' ich alle¬
mal, das was ich der Tochter vortrage ennuire die
Mutter und ich fange mit Recht, wenn dieſe koͤmmt,
einen beſſern Diskurs an. — — Viktor vorbarg
ſeine Kaͤlte leicht aus jener Menſchenliebe, die bei
ihm ſo oft in zu gutherzige Schmeichelei unmorali¬
ſcher Hofnungen ausartete; und wenn eine haben
wollte, er ſollte ſich in ſie verlieben; ſo ſagte er:
»ich kann doch warlich zum guten Laͤmgen nicht ſa¬
»gen: ich mag nicht.« — Die Waͤrme gegen Klo¬
tilde verbarg er — ſchlecht, nicht weil ſie zu ſtark,
ſondern gerade weil ſie es noch nicht genug war.
Es iſt natuͤrlich: ein Juͤngling von Erziehung kann
wenn er will, ſeine erwiederte Liebe ohne Prokla¬
mation verhuͤllen und verſchweigen, aber eine uner¬
wiederte, eine, die er ſelber bloß erſt Achtung
nennt, laͤſſet er aus ſich ohne Huͤllen lodern. — Ue¬
brigens bitt' ich die Welt, ſich hinzuſetzen und zu
bedenken, daß mein Held nicht den Teufel im Leibe
oder ſechzehn Jahre habe, ſondern daß er unmoͤglich
eine Liebe fuͤr eine Perſon empfinden koͤnne, die uͤber
ihre Geſinnungen wie uͤber ihre Reize eine Moſis-
Decke haͤngt. Liebe beginnt und ſteigt durchaus nur
an der Gegenliebe und mit ihrem wechſelſeitigen Er¬
rathen. Achtung hat er bloß, aber recht viele, aber
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/386>, abgerufen am 25.11.2024.
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