Doch für Klotiide war dieser Hausfreund nichts als eine ausgepolsterte Mumie und sie wußte nicht, kam er oder ging er.
Sebastian wurde als Adoptivsohn des Glücks, als Erbe des väterlichen Favoriten-Postens, heute von der Kammerherrschaft ungemein verbindlich em¬ pfangen: wahrhaftig wenn der Hofmann Unglückliche flieht, weil ihm das Mitleiden zu heftig zusetzt, so drängt er sich gern um Glückliche, weil er Mitfreude genießen will. Der Kammerherr, der sich noch vor dem verbeugte, der in seinem Sturze vom Thron mitten in der Luft hing, bückte sich natürlicherweise vor dem noch tiefer nieder, der in der entgegenge¬ setzten Motion begriffen war.
Viktor stellte sich zu den Weibern, aber mit ei¬ nem aufs Schachbret irrenden Auge, um, wenn er verlegen wäre, sogleich einen Vorwand der veränder¬ ten Aufmerksamkeit oder des Wegtretens bei der Hand zu haben. Es war gescheut: denn jedes Wort, das er und die Weiber sprachen, war ein Schachzug; er mußte gegen die Le Baut -- was wußte die, daß einer Mutter nichts schöner stehe als eine vollkom¬ mene Tochter -- d. h. gegen die Stiefmutter seine Kälte und gegen die Stieftochter seine Wärme verdecken. Der Leser frage nicht, was konnte denn die alte Stiefmutter für Wärme begehren? denn in den höhern Ständen werden die Preteusionen durch
Doch fuͤr Klotiide war dieſer Hausfreund nichts als eine ausgepolſterte Mumie und ſie wußte nicht, kam er oder ging er.
Sebaſtian wurde als Adoptivſohn des Gluͤcks, als Erbe des vaͤterlichen Favoriten-Poſtens, heute von der Kammerherrſchaft ungemein verbindlich em¬ pfangen: wahrhaftig wenn der Hofmann Ungluͤckliche flieht, weil ihm das Mitleiden zu heftig zuſetzt, ſo draͤngt er ſich gern um Gluͤckliche, weil er Mitfreude genießen will. Der Kammerherr, der ſich noch vor dem verbeugte, der in ſeinem Sturze vom Thron mitten in der Luft hing, buͤckte ſich natuͤrlicherweiſe vor dem noch tiefer nieder, der in der entgegenge¬ ſetzten Motion begriffen war.
Viktor ſtellte ſich zu den Weibern, aber mit ei¬ nem aufs Schachbret irrenden Auge, um, wenn er verlegen waͤre, ſogleich einen Vorwand der veraͤnder¬ ten Aufmerkſamkeit oder des Wegtretens bei der Hand zu haben. Es war geſcheut: denn jedes Wort, das er und die Weiber ſprachen, war ein Schachzug; er mußte gegen die Le Baut — was wußte die, daß einer Mutter nichts ſchoͤner ſtehe als eine vollkom¬ mene Tochter — d. h. gegen die Stiefmutter ſeine Kaͤlte und gegen die Stieftochter ſeine Waͤrme verdecken. Der Leſer frage nicht, was konnte denn die alte Stiefmutter fuͤr Waͤrme begehren? denn in den hoͤhern Staͤnden werden die Preteuſionen durch
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0385"n="374"/>
Doch fuͤr Klotiide war dieſer Hausfreund nichts<lb/>
als eine ausgepolſterte Mumie und ſie wußte nicht,<lb/>
kam er oder ging er.</p><lb/><p>Sebaſtian wurde als Adoptivſohn des Gluͤcks,<lb/>
als Erbe des vaͤterlichen Favoriten-Poſtens, heute<lb/>
von der Kammerherrſchaft ungemein verbindlich em¬<lb/>
pfangen: wahrhaftig wenn der Hofmann Ungluͤckliche<lb/>
flieht, weil ihm das Mitleiden zu heftig zuſetzt, ſo<lb/>
draͤngt er ſich gern um Gluͤckliche, weil er Mitfreude<lb/>
genießen will. Der Kammerherr, der ſich noch vor<lb/>
dem verbeugte, der in ſeinem Sturze vom Thron<lb/>
mitten in der Luft hing, buͤckte ſich natuͤrlicherweiſe<lb/>
vor dem noch tiefer nieder, der in der entgegenge¬<lb/>ſetzten Motion begriffen war.</p><lb/><p>Viktor ſtellte ſich zu den Weibern, aber mit ei¬<lb/>
nem aufs Schachbret irrenden Auge, um, wenn er<lb/>
verlegen waͤre, ſogleich einen Vorwand der veraͤnder¬<lb/>
ten Aufmerkſamkeit oder des Wegtretens bei der<lb/>
Hand zu haben. Es war geſcheut: denn jedes Wort,<lb/>
das er und die Weiber ſprachen, war ein Schachzug;<lb/>
er mußte gegen die Le Baut — was wußte die, daß<lb/>
einer Mutter nichts ſchoͤner ſtehe als eine vollkom¬<lb/>
mene Tochter — d. h. gegen die Stiefmutter ſeine<lb/><hirendition="#g">Kaͤlte</hi> und gegen die Stieftochter ſeine <hirendition="#g">Waͤrme</hi><lb/>
verdecken. Der Leſer frage nicht, was konnte denn<lb/>
die alte Stiefmutter fuͤr Waͤrme begehren? denn in<lb/>
den hoͤhern Staͤnden werden die Preteuſionen durch<lb/></p></div></body></text></TEI>
[374/0385]
Doch fuͤr Klotiide war dieſer Hausfreund nichts
als eine ausgepolſterte Mumie und ſie wußte nicht,
kam er oder ging er.
Sebaſtian wurde als Adoptivſohn des Gluͤcks,
als Erbe des vaͤterlichen Favoriten-Poſtens, heute
von der Kammerherrſchaft ungemein verbindlich em¬
pfangen: wahrhaftig wenn der Hofmann Ungluͤckliche
flieht, weil ihm das Mitleiden zu heftig zuſetzt, ſo
draͤngt er ſich gern um Gluͤckliche, weil er Mitfreude
genießen will. Der Kammerherr, der ſich noch vor
dem verbeugte, der in ſeinem Sturze vom Thron
mitten in der Luft hing, buͤckte ſich natuͤrlicherweiſe
vor dem noch tiefer nieder, der in der entgegenge¬
ſetzten Motion begriffen war.
Viktor ſtellte ſich zu den Weibern, aber mit ei¬
nem aufs Schachbret irrenden Auge, um, wenn er
verlegen waͤre, ſogleich einen Vorwand der veraͤnder¬
ten Aufmerkſamkeit oder des Wegtretens bei der
Hand zu haben. Es war geſcheut: denn jedes Wort,
das er und die Weiber ſprachen, war ein Schachzug;
er mußte gegen die Le Baut — was wußte die, daß
einer Mutter nichts ſchoͤner ſtehe als eine vollkom¬
mene Tochter — d. h. gegen die Stiefmutter ſeine
Kaͤlte und gegen die Stieftochter ſeine Waͤrme
verdecken. Der Leſer frage nicht, was konnte denn
die alte Stiefmutter fuͤr Waͤrme begehren? denn in
den hoͤhern Staͤnden werden die Preteuſionen durch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/385>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.