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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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gesehen, mit der kältesten Hand über sein heisses
Herz. Oft besah er abends vor dem Bettegehen
seinen bebenden Körper so lange, daß er ihn von
sich abtrennte und als eine fremde Gestalt so allein
neben seinem Ich stehen und gestikuliren sah: dann
legte er sich zitternd mit dieser fremden Gestalt in
die Gruft des Schlafes hinein und die verdunkelte
Seele fühlte sich wie eine Hamadryade von der
biegsamen Fleisch-Rinde überwachsen. Daher em¬
pfand er die Verschiedenheit und den langen Zwi¬
schenraum zwischen seinem Ich und dessen Kruste
tief wenn er lange einen fremden Körper, und noch
tiefer, wenn er seinen eignen anblickte.

Er saß dem Poussirstuhl und den Poussirgriffeln ge¬
genüber, aber seine Augen heftete er wieder in ein
Buch, um die Körpergestalt, in der er sich selber
herumtrug, nicht entfernt und verdoppelt zu sehen.
Die Ursache, warum er aber doch die weggestellte
Verdoppelung seines Gesichts im Spiegel aushielt,
kann nur die seyn, weil er entweder den Figuranten
im Spiegel bloß für ein Portrait ohne Kubikinhalt
oder für das einzige Original ansah, mit dem wir
andre Doubletten unsers Wesens zusammenhalten. .
. .Ueber diese Punkte kann ich selber nie ohne ein
inneres Leben reden. . . .

Dem Wachsabdruck Viktors wurde nach seiner
Majorennität eine toga virilis, ein Sürtout, den

geſehen, mit der kaͤlteſten Hand uͤber ſein heiſſes
Herz. Oft beſah er abends vor dem Bettegehen
ſeinen bebenden Koͤrper ſo lange, daß er ihn von
ſich abtrennte und als eine fremde Geſtalt ſo allein
neben ſeinem Ich ſtehen und geſtikuliren ſah: dann
legte er ſich zitternd mit dieſer fremden Geſtalt in
die Gruft des Schlafes hinein und die verdunkelte
Seele fuͤhlte ſich wie eine Hamadryade von der
biegſamen Fleiſch-Rinde uͤberwachſen. Daher em¬
pfand er die Verſchiedenheit und den langen Zwi¬
ſchenraum zwiſchen ſeinem Ich und deſſen Kruſte
tief wenn er lange einen fremden Koͤrper, und noch
tiefer, wenn er ſeinen eignen anblickte.

Er ſaß dem Pouſſirſtuhl und den Pouſſirgriffeln ge¬
genuͤber, aber ſeine Augen heftete er wieder in ein
Buch, um die Koͤrpergeſtalt, in der er ſich ſelber
herumtrug, nicht entfernt und verdoppelt zu ſehen.
Die Urſache, warum er aber doch die weggeſtellte
Verdoppelung ſeines Geſichts im Spiegel aushielt,
kann nur die ſeyn, weil er entweder den Figuranten
im Spiegel bloß fuͤr ein Portrait ohne Kubikinhalt
oder fuͤr das einzige Original anſah, mit dem wir
andre Doubletten unſers Weſens zuſammenhalten. .
. .Ueber dieſe Punkte kann ich ſelber nie ohne ein
inneres Leben reden. . . .

Dem Wachsabdruck Viktors wurde nach ſeiner
Majorennitaͤt eine toga virilis, ein Suͤrtout, den

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[370/0381] geſehen, mit der kaͤlteſten Hand uͤber ſein heiſſes Herz. Oft beſah er abends vor dem Bettegehen ſeinen bebenden Koͤrper ſo lange, daß er ihn von ſich abtrennte und als eine fremde Geſtalt ſo allein neben ſeinem Ich ſtehen und geſtikuliren ſah: dann legte er ſich zitternd mit dieſer fremden Geſtalt in die Gruft des Schlafes hinein und die verdunkelte Seele fuͤhlte ſich wie eine Hamadryade von der biegſamen Fleiſch-Rinde uͤberwachſen. Daher em¬ pfand er die Verſchiedenheit und den langen Zwi¬ ſchenraum zwiſchen ſeinem Ich und deſſen Kruſte tief wenn er lange einen fremden Koͤrper, und noch tiefer, wenn er ſeinen eignen anblickte. Er ſaß dem Pouſſirſtuhl und den Pouſſirgriffeln ge¬ genuͤber, aber ſeine Augen heftete er wieder in ein Buch, um die Koͤrpergeſtalt, in der er ſich ſelber herumtrug, nicht entfernt und verdoppelt zu ſehen. Die Urſache, warum er aber doch die weggeſtellte Verdoppelung ſeines Geſichts im Spiegel aushielt, kann nur die ſeyn, weil er entweder den Figuranten im Spiegel bloß fuͤr ein Portrait ohne Kubikinhalt oder fuͤr das einzige Original anſah, mit dem wir andre Doubletten unſers Weſens zuſammenhalten. . . .Ueber dieſe Punkte kann ich ſelber nie ohne ein inneres Leben reden. . . . Dem Wachsabdruck Viktors wurde nach ſeiner Majorennitaͤt eine toga virilis, ein Suͤrtout, den

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/381>, abgerufen am 22.11.2024.