das vergangne oder künftige? -- seine Wissenschaft um ihre Blutsverwandschaft mit seinem Freund eröf¬ nen mußte. Zu dieser Eröfnung fehlte, was in Pa¬ ris das Theuerste ist, der Platz; das Exordium auch. Klotilde war nirgends allein zu treffen. Kenner sa¬ gen, jedes Geheimniß, daß man einer Schönen sagt, sey ein Heftpflaster, das mit ihr zusammenleime und das oft ein zweites Geheimniß gebäre: sollte Viktor etwan darum Klotilden seine Kenntnisse von ihrer Geschwisterschaft so begierig zu zeigen getrachtet haben? --
Er blieb einen Tag um den andern, da ohnehin die Vermählungs-Butterwoche erst vorüber gehen mußte. -- Er hatte schon Vermählungsmünzen in der Tasche. Aber er sah Klotilde immer nur in Se¬ kunden; und eine halbe Sekunde braucht man nach Bonnet zu einer klaren Idee, nach Hooke gar eine ganze: eh' er also eine ganze Vorstellung von dieser stillen Göttin zusammengebracht hatte, war sie schon fortgelaufen.
Endlich wurden ernsthaftere Anstalten gemacht -- nicht zur Abreise sondern zum Vorsatz derselben ... Die schönsten Minuten in einer Visite sind die, die ihr Ende wieder verschieben; die allerschönsten, wenn man schon den Stock oder den Fächer in der Hand hat und doch nicht geht. Solche Minuten umgaben unsern erotischen Fabius jetzt: sanftere Augen sagten
das vergangne oder kuͤnftige? — ſeine Wiſſenſchaft um ihre Blutsverwandſchaft mit ſeinem Freund eroͤf¬ nen mußte. Zu dieſer Eroͤfnung fehlte, was in Pa¬ ris das Theuerſte iſt, der Platz; das Exordium auch. Klotilde war nirgends allein zu treffen. Kenner ſa¬ gen, jedes Geheimniß, daß man einer Schoͤnen ſagt, ſey ein Heftpflaſter, das mit ihr zuſammenleime und das oft ein zweites Geheimniß gebaͤre: ſollte Viktor etwan darum Klotilden ſeine Kenntniſſe von ihrer Geſchwiſterſchaft ſo begierig zu zeigen getrachtet haben? —
Er blieb einen Tag um den andern, da ohnehin die Vermaͤhlungs-Butterwoche erſt voruͤber gehen mußte. — Er hatte ſchon Vermaͤhlungsmuͤnzen in der Taſche. Aber er ſah Klotilde immer nur in Se¬ kunden; und eine halbe Sekunde braucht man nach Bonnet zu einer klaren Idee, nach Hooke gar eine ganze: eh' er alſo eine ganze Vorſtellung von dieſer ſtillen Goͤttin zuſammengebracht hatte, war ſie ſchon fortgelaufen.
Endlich wurden ernſthaftere Anſtalten gemacht — nicht zur Abreiſe ſondern zum Vorſatz derſelben ... Die ſchoͤnſten Minuten in einer Viſite ſind die, die ihr Ende wieder verſchieben; die allerſchoͤnſten, wenn man ſchon den Stock oder den Faͤcher in der Hand hat und doch nicht geht. Solche Minuten umgaben unſern erotiſchen Fabius jetzt: ſanftere Augen ſagten
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das vergangne oder kuͤnftige? — ſeine Wiſſenſchaft
um ihre Blutsverwandſchaft mit ſeinem Freund eroͤf¬
nen mußte. Zu dieſer Eroͤfnung fehlte, was in Pa¬
ris das Theuerſte iſt, der Platz; das Exordium auch.
Klotilde war nirgends allein zu treffen. Kenner ſa¬
gen, jedes Geheimniß, daß man einer Schoͤnen ſagt,
ſey ein Heftpflaſter, das mit ihr zuſammenleime und
das oft ein zweites Geheimniß gebaͤre: ſollte Viktor
etwan darum Klotilden ſeine Kenntniſſe von ihrer
Geſchwiſterſchaft ſo begierig zu zeigen getrachtet
haben? —
Er blieb einen Tag um den andern, da ohnehin
die Vermaͤhlungs-Butterwoche erſt voruͤber gehen
mußte. — Er hatte ſchon Vermaͤhlungsmuͤnzen in
der Taſche. Aber er ſah Klotilde immer nur in Se¬
kunden; und eine halbe Sekunde braucht man nach
Bonnet zu einer klaren Idee, nach Hooke gar
eine ganze: eh' er alſo eine ganze Vorſtellung von
dieſer ſtillen Goͤttin zuſammengebracht hatte, war ſie
ſchon fortgelaufen.
Endlich wurden ernſthaftere Anſtalten gemacht —
nicht zur Abreiſe ſondern zum Vorſatz derſelben ...
Die ſchoͤnſten Minuten in einer Viſite ſind die, die
ihr Ende wieder verſchieben; die allerſchoͤnſten, wenn
man ſchon den Stock oder den Faͤcher in der Hand
hat und doch nicht geht. Solche Minuten umgaben
unſern erotiſchen Fabius jetzt: ſanftere Augen ſagten
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/377>, abgerufen am 22.11.2024.
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