stellte ihm alles dieses vor; aber er glaubte es selber nicht recht: ihn übermannte der hohe Mensch, der seinen Eintritt in den Todesschatten so zuverläßig wie einen Eintritt des Mondes in den Erdschatten ansag te. -- Wir wollen dem Emanuel vergeben und uns deswegen nicht für weiser halten, weil er schmärme¬ rischer ist. -- Am meisten wurde er durch Emanuels Wahn getröstet, daß ihm vor seinem Tode erst sein verstorbner Vater erscheinen werde.
Viktor zögerte und wollte nicht zögern, hinderte als Arzt das Sprechen des Emanuels, um sich die Entschuldigung eines unschädlichen Aufschubs zu machen und wurde eben, weil er selber wenig zu reden suchte, immer betrübter. -- Ach wie kannst du schon heute von ihm eilen, von diesem Engel, der vielleicht über dem nächsten Grabe verschwindet? -- Es muß dir hart fallen, da es schon so schwer ist, vom Maienthal voll Blüten, vom Blinden voll sanf¬ ter Töne wegzugehen -- schmerzlich ist hier der letzte Händedruck, Viktor, und schön jede Verzö¬ gerung!
Er beschloß, zu Nachts zu scheiden, weil eine Trennung am Morgen zu lange wehe thut, und die Stelle des Herzens, wo sich das geliebte abgerissen, den ganzen Tag fortblutet. Emanuel hätte Abends sich wieder ins Stift entfernen sollen wie gestern: Viktor hätte seine gefüllten Augenhölen, mit denen
ſtellte ihm alles dieſes vor; aber er glaubte es ſelber nicht recht: ihn uͤbermannte der hohe Menſch, der ſeinen Eintritt in den Todesſchatten ſo zuverlaͤßig wie einen Eintritt des Mondes in den Erdſchatten anſag te. — Wir wollen dem Emanuel vergeben und uns deswegen nicht fuͤr weiſer halten, weil er ſchmaͤrme¬ riſcher iſt. — Am meiſten wurde er durch Emanuels Wahn getroͤſtet, daß ihm vor ſeinem Tode erſt ſein verſtorbner Vater erſcheinen werde.
Viktor zoͤgerte und wollte nicht zoͤgern, hinderte als Arzt das Sprechen des Emanuels, um ſich die Entſchuldigung eines unſchaͤdlichen Aufſchubs zu machen und wurde eben, weil er ſelber wenig zu reden ſuchte, immer betruͤbter. — Ach wie kannſt du ſchon heute von ihm eilen, von dieſem Engel, der vielleicht uͤber dem naͤchſten Grabe verſchwindet? — Es muß dir hart fallen, da es ſchon ſo ſchwer iſt, vom Maienthal voll Bluͤten, vom Blinden voll ſanf¬ ter Toͤne wegzugehen — ſchmerzlich iſt hier der letzte Haͤndedruck, Viktor, und ſchoͤn jede Verzoͤ¬ gerung!
Er beſchloß, zu Nachts zu ſcheiden, weil eine Trennung am Morgen zu lange wehe thut, und die Stelle des Herzens, wo ſich das geliebte abgeriſſen, den ganzen Tag fortblutet. Emanuel haͤtte Abends ſich wieder ins Stift entfernen ſollen wie geſtern: Viktor haͤtte ſeine gefuͤllten Augenhoͤlen, mit denen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0358"n="347"/>ſtellte ihm alles dieſes vor; aber er glaubte es ſelber<lb/>
nicht recht: ihn uͤbermannte der hohe Menſch, der<lb/>ſeinen Eintritt in den Todesſchatten ſo zuverlaͤßig wie<lb/>
einen Eintritt des Mondes in den Erdſchatten anſag<lb/>
te. — Wir wollen dem Emanuel vergeben und uns<lb/>
deswegen nicht fuͤr weiſer halten, weil er ſchmaͤrme¬<lb/>
riſcher iſt. — Am meiſten wurde er durch Emanuels<lb/>
Wahn getroͤſtet, daß ihm vor ſeinem Tode erſt ſein<lb/>
verſtorbner Vater erſcheinen werde.</p><lb/><p>Viktor zoͤgerte und wollte nicht zoͤgern, hinderte<lb/>
als Arzt das Sprechen des Emanuels, um ſich die<lb/>
Entſchuldigung eines unſchaͤdlichen Aufſchubs zu<lb/>
machen und wurde eben, weil er ſelber wenig zu<lb/>
reden ſuchte, immer betruͤbter. — Ach wie kannſt du<lb/>ſchon heute von ihm eilen, von dieſem Engel, der<lb/>
vielleicht uͤber dem naͤchſten Grabe verſchwindet? —<lb/>
Es muß dir hart fallen, da es ſchon ſo ſchwer iſt,<lb/>
vom Maienthal voll Bluͤten, vom Blinden voll ſanf¬<lb/>
ter Toͤne wegzugehen —ſchmerzlich iſt hier der<lb/>
letzte Haͤndedruck, Viktor, und ſchoͤn jede Verzoͤ¬<lb/>
gerung!</p><lb/><p>Er beſchloß, zu Nachts zu ſcheiden, weil eine<lb/>
Trennung am Morgen zu lange wehe thut, und die<lb/>
Stelle des Herzens, wo ſich das geliebte abgeriſſen,<lb/>
den ganzen Tag fortblutet. Emanuel haͤtte Abends<lb/>ſich wieder ins Stift entfernen ſollen wie geſtern:<lb/>
Viktor haͤtte ſeine gefuͤllten Augenhoͤlen, mit denen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[347/0358]
ſtellte ihm alles dieſes vor; aber er glaubte es ſelber
nicht recht: ihn uͤbermannte der hohe Menſch, der
ſeinen Eintritt in den Todesſchatten ſo zuverlaͤßig wie
einen Eintritt des Mondes in den Erdſchatten anſag
te. — Wir wollen dem Emanuel vergeben und uns
deswegen nicht fuͤr weiſer halten, weil er ſchmaͤrme¬
riſcher iſt. — Am meiſten wurde er durch Emanuels
Wahn getroͤſtet, daß ihm vor ſeinem Tode erſt ſein
verſtorbner Vater erſcheinen werde.
Viktor zoͤgerte und wollte nicht zoͤgern, hinderte
als Arzt das Sprechen des Emanuels, um ſich die
Entſchuldigung eines unſchaͤdlichen Aufſchubs zu
machen und wurde eben, weil er ſelber wenig zu
reden ſuchte, immer betruͤbter. — Ach wie kannſt du
ſchon heute von ihm eilen, von dieſem Engel, der
vielleicht uͤber dem naͤchſten Grabe verſchwindet? —
Es muß dir hart fallen, da es ſchon ſo ſchwer iſt,
vom Maienthal voll Bluͤten, vom Blinden voll ſanf¬
ter Toͤne wegzugehen — ſchmerzlich iſt hier der
letzte Haͤndedruck, Viktor, und ſchoͤn jede Verzoͤ¬
gerung!
Er beſchloß, zu Nachts zu ſcheiden, weil eine
Trennung am Morgen zu lange wehe thut, und die
Stelle des Herzens, wo ſich das geliebte abgeriſſen,
den ganzen Tag fortblutet. Emanuel haͤtte Abends
ſich wieder ins Stift entfernen ſollen wie geſtern:
Viktor haͤtte ſeine gefuͤllten Augenhoͤlen, mit denen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/358>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.