angeredet, und endlich von ihm in den Himmel ge¬ wichen, ihm aber einen Brief da gelassen habe, den er nach einem Jahre zu Pfingsten sich von Klotilden dürfe lesen lassen. Viktor lächelte froh; aber er entdeckte ihm nicht, daß er den Engel für ein scheues liebendes Mädgen aus dem Fräuleinstift ansehe. -- "Aber gestern, sagte Viktor war bloß ich der Engel, der dich so küste!" -- und wiederholte es. -- Ju¬ lius wußte geliebten Personen nichts schöneres zu geben als das Bild seines Vaters -- die Schilde¬ rung von der erhabenen Liebe desselben, die keinen Menschen vergaß, weil sie nicht auf die Vorzüge, sondern auf die Bedürfnisse der Menschen gebauet war -- ferner von seiner Nachsicht, seiner Uneigen¬ nützigkeit, da ihm eine lange Tugend den Kampf gegen sein Herz ersparte und er nun nichts that als was er wünschte und da ihm die tief herabhängende zweite Welt eine eigne Unabhängigkeit von Bedürf¬ nissen predigte. 500,000 Fixsterne erster Größe leuch¬ ten nach Lambert kaum dem nähern Vollmond gleich; und so überglänzt die Gegenwart immer unser Inne¬ res; aber steige näher zum Fixstern der zweiten Welt auf, so wird er eine Sonne, die den Mond der Zeit und der Gegenwart in einen schmalen Nebel verwan¬ delt. -- Diesen Emanuel hatten alle Maienthaler lieb (sogar der Pfarrer, obwohl jener ein Akatholik, Alutheraner und Akalvinist war;) und er war gern
angeredet, und endlich von ihm in den Himmel ge¬ wichen, ihm aber einen Brief da gelaſſen habe, den er nach einem Jahre zu Pfingſten ſich von Klotilden duͤrfe leſen laſſen. Viktor laͤchelte froh; aber er entdeckte ihm nicht, daß er den Engel fuͤr ein ſcheues liebendes Maͤdgen aus dem Fraͤuleinſtift anſehe. — »Aber geſtern, ſagte Viktor war bloß ich der Engel, der dich ſo kuͤſte!« — und wiederholte es. — Ju¬ lius wußte geliebten Perſonen nichts ſchoͤneres zu geben als das Bild ſeines Vaters — die Schilde¬ rung von der erhabenen Liebe deſſelben, die keinen Menſchen vergaß, weil ſie nicht auf die Vorzuͤge, ſondern auf die Beduͤrfniſſe der Menſchen gebauet war — ferner von ſeiner Nachſicht, ſeiner Uneigen¬ nuͤtzigkeit, da ihm eine lange Tugend den Kampf gegen ſein Herz erſparte und er nun nichts that als was er wuͤnſchte und da ihm die tief herabhaͤngende zweite Welt eine eigne Unabhaͤngigkeit von Beduͤrf¬ niſſen predigte. 500,000 Fixſterne erſter Groͤße leuch¬ ten nach Lambert kaum dem naͤhern Vollmond gleich; und ſo uͤberglaͤnzt die Gegenwart immer unſer Inne¬ res; aber ſteige naͤher zum Fixſtern der zweiten Welt auf, ſo wird er eine Sonne, die den Mond der Zeit und der Gegenwart in einen ſchmalen Nebel verwan¬ delt. — Dieſen Emanuel hatten alle Maienthaler lieb (ſogar der Pfarrer, obwohl jener ein Akatholik, Alutheraner und Akalviniſt war;) und er war gern
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angeredet, und endlich von ihm in den Himmel ge¬
wichen, ihm aber einen Brief da gelaſſen habe, den
er nach einem Jahre zu Pfingſten ſich von Klotilden
duͤrfe leſen laſſen. Viktor laͤchelte froh; aber er
entdeckte ihm nicht, daß er den Engel fuͤr ein ſcheues
liebendes Maͤdgen aus dem Fraͤuleinſtift anſehe. —
»Aber geſtern, ſagte Viktor war bloß ich der Engel,
der dich ſo kuͤſte!« — und wiederholte es. — Ju¬
lius wußte geliebten Perſonen nichts ſchoͤneres zu
geben als das Bild ſeines Vaters — die Schilde¬
rung von der erhabenen Liebe deſſelben, die keinen
Menſchen vergaß, weil ſie nicht auf die Vorzuͤge,
ſondern auf die Beduͤrfniſſe der Menſchen gebauet
war — ferner von ſeiner Nachſicht, ſeiner Uneigen¬
nuͤtzigkeit, da ihm eine lange Tugend den Kampf
gegen ſein Herz erſparte und er nun nichts that als
was er wuͤnſchte und da ihm die tief herabhaͤngende
zweite Welt eine eigne Unabhaͤngigkeit von Beduͤrf¬
niſſen predigte. 500,000 Fixſterne erſter Groͤße leuch¬
ten nach Lambert kaum dem naͤhern Vollmond gleich;
und ſo uͤberglaͤnzt die Gegenwart immer unſer Inne¬
res; aber ſteige naͤher zum Fixſtern der zweiten Welt
auf, ſo wird er eine Sonne, die den Mond der Zeit
und der Gegenwart in einen ſchmalen Nebel verwan¬
delt. — Dieſen Emanuel hatten alle Maienthaler
lieb (ſogar der Pfarrer, obwohl jener ein Akatholik,
Alutheraner und Akalviniſt war;) und er war gern
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 333. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/344>, abgerufen am 23.11.2024.
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