Der zweite bessere Grund, warum er die Oppo¬ nenten-Ehre verschmähte, war sein Herz, das mehr in sich schloß als der Kopf beleuchten konnte. Ge¬ wisse Wahrheiten können nicht, wie die Gemälde sammt den Mauern in Italien, aus einem Kopfe in den andern transportirt werden -- das Licht, das dir der andre geben kann, zeigt, aber zimmert nicht das Ameublement deines Innern und das, was das Licht bei einigen wirklich erschöpft, ist Lufter¬ scheinung, optischer Betrug, aber kein Körper *)-- Daher kommt es nicht auf das Zeigen und Ersehen einer Wahrheit d. h. eines Gegenstandes an, son¬ dern auf die Wirkungen, die er durch dein ganzes Inneres macht. Warum giebt es denn Menschen, die uns wie Sokrates den Theages heiligen, bloß wenn wir bei ihnen sind? -- Wie vermögen es große Schriftsteller, daß ihr unsichtbarer Geist ihrer Werke uns ergreift und festhält, ohne daß wir die Worte und Stellen angeben können, womit sie es thun wie ein vollbelaubter Wald immer brauset, ohne sich mit einzelnen Aesten zu bewegen? -- War¬
*)Aufklärung in einem leeren Herzen ist bloß Gedächt¬ nißwerk, sie strenge übrigens den Scharfsinn noch so sehr an; die meisten Menschen unserer Tage gleichen den neuen Häusern in Potsdam, in die (nach Reichard) Friedrich ll. zu Nachts Lichter setzen ließ, damit jeder und selber Rei¬ chard denken sollte, sie seyn -- bewohnt.
Der zweite beſſere Grund, warum er die Oppo¬ nenten-Ehre verſchmaͤhte, war ſein Herz, das mehr in ſich ſchloß als der Kopf beleuchten konnte. Ge¬ wiſſe Wahrheiten koͤnnen nicht, wie die Gemaͤlde ſammt den Mauern in Italien, aus einem Kopfe in den andern transportirt werden — das Licht, das dir der andre geben kann, zeigt, aber zimmert nicht das Ameublement deines Innern und das, was das Licht bei einigen wirklich erſchoͤpft, iſt Lufter¬ ſcheinung, optiſcher Betrug, aber kein Koͤrper *)— Daher kommt es nicht auf das Zeigen und Erſehen einer Wahrheit d. h. eines Gegenſtandes an, ſon¬ dern auf die Wirkungen, die er durch dein ganzes Inneres macht. Warum giebt es denn Menſchen, die uns wie Sokrates den Theages heiligen, bloß wenn wir bei ihnen ſind? — Wie vermoͤgen es große Schriftſteller, daß ihr unſichtbarer Geiſt ihrer Werke uns ergreift und feſthaͤlt, ohne daß wir die Worte und Stellen angeben koͤnnen, womit ſie es thun wie ein vollbelaubter Wald immer brauſet, ohne ſich mit einzelnen Aeſten zu bewegen? — War¬
*)Aufklaͤrung in einem leeren Herzen iſt bloß Gedaͤcht¬ nißwerk, ſie ſtrenge uͤbrigens den Scharfſinn noch ſo ſehr an; die meiſten Menſchen unſerer Tage gleichen den neuen Haͤuſern in Potsdam, in die (nach Reichard) Friedrich ll. zu Nachts Lichter ſetzen ließ, damit jeder und ſelber Rei¬ chard denken ſollte, ſie ſeyn — bewohnt.
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Der zweite beſſere Grund, warum er die Oppo¬
nenten-Ehre verſchmaͤhte, war ſein Herz, das mehr
in ſich ſchloß als der Kopf beleuchten konnte. Ge¬
wiſſe Wahrheiten koͤnnen nicht, wie die Gemaͤlde
ſammt den Mauern in Italien, aus einem Kopfe in
den andern transportirt werden — das Licht, das
dir der andre geben kann, zeigt, aber zimmert
nicht das Ameublement deines Innern und das, was
das Licht bei einigen wirklich erſchoͤpft, iſt Lufter¬
ſcheinung, optiſcher Betrug, aber kein Koͤrper *)—
Daher kommt es nicht auf das Zeigen und Erſehen
einer Wahrheit d. h. eines Gegenſtandes an, ſon¬
dern auf die Wirkungen, die er durch dein ganzes
Inneres macht. Warum giebt es denn Menſchen,
die uns wie Sokrates den Theages heiligen, bloß
wenn wir bei ihnen ſind? — Wie vermoͤgen es
große Schriftſteller, daß ihr unſichtbarer Geiſt ihrer
Werke uns ergreift und feſthaͤlt, ohne daß wir die
Worte und Stellen angeben koͤnnen, womit ſie es
thun wie ein vollbelaubter Wald immer brauſet,
ohne ſich mit einzelnen Aeſten zu bewegen? — War¬
*)
Aufklaͤrung in einem leeren Herzen iſt bloß Gedaͤcht¬
nißwerk, ſie ſtrenge uͤbrigens den Scharfſinn noch ſo ſehr
an; die meiſten Menſchen unſerer Tage gleichen den neuen
Haͤuſern in Potsdam, in die (nach Reichard) Friedrich ll.
zu Nachts Lichter ſetzen ließ, damit jeder und ſelber Rei¬
chard denken ſollte, ſie ſeyn — bewohnt.
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/341>, abgerufen am 22.07.2024.
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