Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

der Eitelkeit, ja nicht bloß das Dessert des Kopfes
ist sondern ein h. Abend- und Liebesmal voll
Lebensgeist für ihr müdes Herz, er fragte wenig
darnach, wenn er keine Proselyten machen konnte.
Viktor fühlte, daß er den dialektischen Artillerietrain
und die elektrischen Pistolen und Batterien der Di¬
sputatorien besser zu handhaben verstehe als Ema¬
nuel; aber würde seine eigne Zunge verabscheut
haben, wenn sie ihre Leichtigkeit gegen diese schöne
Seele gerichtet hätte. Er schwieg aus zwei Grün¬
den. "Versuch' es, sagt' er, von einer großen dein
"ganzes Wesen umfassenden leuchtenden Wahrheit
"auf den fliegenden Sekundenweiser, worauf man in
"einer Entrevüe steht, mit den wenigen trocknen
"Tuschen, womit menschliche Ideen zu koloriren sind
"und mit der unbehülflichen Menschenzunge, womit du
"diese Farbenkörner ausbreiten must, versuch' es von
"deiner Wahrheit ein Schmelzbild, einen illuminir¬
"ten Holzschnitt zu geben -- wahrhaftig eine Pro¬
"jektion, ein zerrissenes Steinbild wird alles seyn."
Der lichte Himmel gewisser einfacher tieffühlender
Menschen hüllet wie der physische, alle ihre Son¬
nen, die wärmste ausgenommen, mit dem Schein ei¬
nes öden Blaues zu; aber der unreine Himmel an¬
derer voll Witz und Logik ist mit Nebensonnen,
Bögen, Nordscheinen, Wolken und Koth geputzt.

der Eitelkeit, ja nicht bloß das Deſſert des Kopfes
iſt ſondern ein h. Abend- und Liebesmal voll
Lebensgeiſt fuͤr ihr muͤdes Herz, er fragte wenig
darnach, wenn er keine Proſelyten machen konnte.
Viktor fuͤhlte, daß er den dialektiſchen Artillerietrain
und die elektriſchen Piſtolen und Batterien der Di¬
ſputatorien beſſer zu handhaben verſtehe als Ema¬
nuel; aber wuͤrde ſeine eigne Zunge verabſcheut
haben, wenn ſie ihre Leichtigkeit gegen dieſe ſchoͤne
Seele gerichtet haͤtte. Er ſchwieg aus zwei Gruͤn¬
den. »Verſuch' es, ſagt' er, von einer großen dein
»ganzes Weſen umfaſſenden leuchtenden Wahrheit
»auf den fliegenden Sekundenweiſer, worauf man in
»einer Entrevuͤe ſteht, mit den wenigen trocknen
»Tuſchen, womit menſchliche Ideen zu koloriren ſind
»und mit der unbehuͤlflichen Menſchenzunge, womit du
»dieſe Farbenkoͤrner ausbreiten muſt, verſuch' es von
»deiner Wahrheit ein Schmelzbild, einen illuminir¬
»ten Holzſchnitt zu geben — wahrhaftig eine Pro¬
»jektion, ein zerriſſenes Steinbild wird alles ſeyn.«
Der lichte Himmel gewiſſer einfacher tieffuͤhlender
Menſchen huͤllet wie der phyſiſche, alle ihre Son¬
nen, die waͤrmſte ausgenommen, mit dem Schein ei¬
nes oͤden Blaues zu; aber der unreine Himmel an¬
derer voll Witz und Logik iſt mit Nebenſonnen,
Boͤgen, Nordſcheinen, Wolken und Koth geputzt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0340" n="329"/>
der Eitelkeit, ja nicht bloß das De&#x017F;&#x017F;ert des Kopfes<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ondern ein h. <hi rendition="#g">Abend-</hi> und <hi rendition="#g">Liebesmal</hi> voll<lb/><hi rendition="#g">Lebensgei&#x017F;t</hi> fu&#x0364;r ihr mu&#x0364;des Herz, er fragte wenig<lb/>
darnach, wenn er keine Pro&#x017F;elyten machen konnte.<lb/>
Viktor fu&#x0364;hlte, daß er den dialekti&#x017F;chen Artillerietrain<lb/>
und die elektri&#x017F;chen Pi&#x017F;tolen und Batterien der Di¬<lb/>
&#x017F;putatorien be&#x017F;&#x017F;er zu handhaben ver&#x017F;tehe als Ema¬<lb/>
nuel; aber wu&#x0364;rde &#x017F;eine eigne Zunge verab&#x017F;cheut<lb/>
haben, wenn &#x017F;ie ihre Leichtigkeit gegen die&#x017F;e &#x017F;cho&#x0364;ne<lb/>
Seele gerichtet ha&#x0364;tte. Er &#x017F;chwieg aus zwei Gru&#x0364;<lb/>
den. »Ver&#x017F;uch' es, &#x017F;agt' er, von einer großen dein<lb/>
»ganzes We&#x017F;en umfa&#x017F;&#x017F;enden leuchtenden Wahrheit<lb/>
»auf den fliegenden Sekundenwei&#x017F;er, worauf man in<lb/>
»einer Entrevu&#x0364;e &#x017F;teht, mit den wenigen trocknen<lb/>
»Tu&#x017F;chen, womit men&#x017F;chliche Ideen zu koloriren &#x017F;ind<lb/>
»und mit der unbehu&#x0364;lflichen Men&#x017F;chenzunge, womit du<lb/>
»die&#x017F;e Farbenko&#x0364;rner ausbreiten mu&#x017F;t, ver&#x017F;uch' es von<lb/>
»deiner Wahrheit ein Schmelzbild, einen illuminir¬<lb/>
»ten Holz&#x017F;chnitt zu geben &#x2014; wahrhaftig eine Pro¬<lb/>
»jektion, ein zerri&#x017F;&#x017F;enes Steinbild wird alles &#x017F;eyn.«<lb/>
Der lichte Himmel gewi&#x017F;&#x017F;er einfacher tieffu&#x0364;hlender<lb/>
Men&#x017F;chen hu&#x0364;llet wie der phy&#x017F;i&#x017F;che, alle ihre Son¬<lb/>
nen, die wa&#x0364;rm&#x017F;te ausgenommen, mit dem Schein ei¬<lb/>
nes o&#x0364;den Blaues zu; aber der unreine Himmel an¬<lb/>
derer voll Witz und Logik i&#x017F;t mit <hi rendition="#g">Neben&#x017F;onnen</hi>,<lb/>
Bo&#x0364;gen, Nord&#x017F;cheinen, Wolken und Koth geputzt.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[329/0340] der Eitelkeit, ja nicht bloß das Deſſert des Kopfes iſt ſondern ein h. Abend- und Liebesmal voll Lebensgeiſt fuͤr ihr muͤdes Herz, er fragte wenig darnach, wenn er keine Proſelyten machen konnte. Viktor fuͤhlte, daß er den dialektiſchen Artillerietrain und die elektriſchen Piſtolen und Batterien der Di¬ ſputatorien beſſer zu handhaben verſtehe als Ema¬ nuel; aber wuͤrde ſeine eigne Zunge verabſcheut haben, wenn ſie ihre Leichtigkeit gegen dieſe ſchoͤne Seele gerichtet haͤtte. Er ſchwieg aus zwei Gruͤn¬ den. »Verſuch' es, ſagt' er, von einer großen dein »ganzes Weſen umfaſſenden leuchtenden Wahrheit »auf den fliegenden Sekundenweiſer, worauf man in »einer Entrevuͤe ſteht, mit den wenigen trocknen »Tuſchen, womit menſchliche Ideen zu koloriren ſind »und mit der unbehuͤlflichen Menſchenzunge, womit du »dieſe Farbenkoͤrner ausbreiten muſt, verſuch' es von »deiner Wahrheit ein Schmelzbild, einen illuminir¬ »ten Holzſchnitt zu geben — wahrhaftig eine Pro¬ »jektion, ein zerriſſenes Steinbild wird alles ſeyn.« Der lichte Himmel gewiſſer einfacher tieffuͤhlender Menſchen huͤllet wie der phyſiſche, alle ihre Son¬ nen, die waͤrmſte ausgenommen, mit dem Schein ei¬ nes oͤden Blaues zu; aber der unreine Himmel an¬ derer voll Witz und Logik iſt mit Nebenſonnen, Boͤgen, Nordſcheinen, Wolken und Koth geputzt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/340
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/340>, abgerufen am 24.11.2024.