den, wenn er auch nur seine fragenden Vermuthun¬ gen über den Blinden entdeckte. Dieser Julius schien nur zwei Wurzeläste seines Wesens zu ha¬ ben, deren einer in die Flöte und der andre in sei¬ nen Lehrer ging. Auf seinem weißen Angesicht, worauf die Trunkenheit des musikalischen Genies und die Abgezogenheit des träumenden Blinden sich mit einer fast weiblichen Schönheit verband, stand der Wiederschein seines Lehrers und die Fibern des¬ selben hatten sich wie Lautensaiten nur in harmoni¬ schen Bewegungen geregt. Der arme Blinde, der seinen Dahore für seinen Vater ansah, wurde wie eine Flaumfeder bloß von seinem kleinsten Hauch gelenkt.
Emanuel führte am Morgen als Cicerone der Na¬ tur seinen Gast durch die Ruinen und Antiken der Erde: denn jeder Baum ist eine ewige Antike. Wie verschieden ist ein Spaziergang mit einem großen Menschen und einer mit einer Kokette! Die Erde kam ihm heilig vor, erst aus den Händen des Schö¬ pfers entfallen -- ihm war als ging er in einem über uns hängenden überblümten Planeten. Ema¬ nuel zeigte ihm Gott und die Liebe überall abge¬ spiegelt, aber überall verändert, im Lichte, in den Farben, in der Tonleiter der lebendigen Wesen, in der Blüte und in der Menschenschönheit, in den Freuden der Thiere, in den Gedanken der Menschen;
den, wenn er auch nur ſeine fragenden Vermuthun¬ gen uͤber den Blinden entdeckte. Dieſer Julius ſchien nur zwei Wurzelaͤſte ſeines Weſens zu ha¬ ben, deren einer in die Floͤte und der andre in ſei¬ nen Lehrer ging. Auf ſeinem weißen Angeſicht, worauf die Trunkenheit des muſikaliſchen Genies und die Abgezogenheit des traͤumenden Blinden ſich mit einer faſt weiblichen Schoͤnheit verband, ſtand der Wiederſchein ſeines Lehrers und die Fibern deſ¬ ſelben hatten ſich wie Lautenſaiten nur in harmoni¬ ſchen Bewegungen geregt. Der arme Blinde, der ſeinen Dahore fuͤr ſeinen Vater anſah, wurde wie eine Flaumfeder bloß von ſeinem kleinſten Hauch gelenkt.
Emanuel fuͤhrte am Morgen als Cicerone der Na¬ tur ſeinen Gaſt durch die Ruinen und Antiken der Erde: denn jeder Baum iſt eine ewige Antike. Wie verſchieden iſt ein Spaziergang mit einem großen Menſchen und einer mit einer Kokette! Die Erde kam ihm heilig vor, erſt aus den Haͤnden des Schoͤ¬ pfers entfallen — ihm war als ging er in einem uͤber uns haͤngenden uͤberbluͤmten Planeten. Ema¬ nuel zeigte ihm Gott und die Liebe uͤberall abge¬ ſpiegelt, aber uͤberall veraͤndert, im Lichte, in den Farben, in der Tonleiter der lebendigen Weſen, in der Bluͤte und in der Menſchenſchoͤnheit, in den Freuden der Thiere, in den Gedanken der Menſchen;
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den, wenn er auch nur ſeine fragenden Vermuthun¬
gen uͤber den Blinden entdeckte. Dieſer Julius
ſchien nur zwei Wurzelaͤſte ſeines Weſens zu ha¬
ben, deren einer in die Floͤte und der andre in ſei¬
nen Lehrer ging. Auf ſeinem weißen Angeſicht,
worauf die Trunkenheit des muſikaliſchen Genies
und die Abgezogenheit des traͤumenden Blinden ſich
mit einer faſt weiblichen Schoͤnheit verband, ſtand
der Wiederſchein ſeines Lehrers und die Fibern deſ¬
ſelben hatten ſich wie Lautenſaiten nur in harmoni¬
ſchen Bewegungen geregt. Der arme Blinde, der
ſeinen Dahore fuͤr ſeinen Vater anſah, wurde wie
eine Flaumfeder bloß von ſeinem kleinſten Hauch
gelenkt.
Emanuel fuͤhrte am Morgen als Cicerone der Na¬
tur ſeinen Gaſt durch die Ruinen und Antiken der
Erde: denn jeder Baum iſt eine ewige Antike. Wie
verſchieden iſt ein Spaziergang mit einem großen
Menſchen und einer mit einer Kokette! Die Erde
kam ihm heilig vor, erſt aus den Haͤnden des Schoͤ¬
pfers entfallen — ihm war als ging er in einem
uͤber uns haͤngenden uͤberbluͤmten Planeten. Ema¬
nuel zeigte ihm Gott und die Liebe uͤberall abge¬
ſpiegelt, aber uͤberall veraͤndert, im Lichte, in den
Farben, in der Tonleiter der lebendigen Weſen, in
der Bluͤte und in der Menſchenſchoͤnheit, in den
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/337>, abgerufen am 24.11.2024.
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