aus Erdenlicht. Da es nur wenige Seelen giebt, die wissen, wie weit die Harmonie der äussern Na¬ tur mit unserer reicht und wie sehr das ganze All nur Eine Aeolsharfe ist, mit längern und kürzern Saiten, mit langsamern und schnellern Bebungen vor einem göttlichen Hauche ruhend: so fodere ich nicht, daß jeder meinem Emanuel vergebe. --
Nach der über ein halbes Leben erhabenen Szene kamen beide beim blinden Jüngling an, und seine Flöte hob das Herz aus dem schlagenden Fieberblut sanft in den beruhigten Aether des Himmels im Traume hinüber.
Da ich so gerne um diesen Emanuel bin: so gönne mir der Leser die Freude, alle Stunden aus¬ einander zu blättern, die wir in seinem Hause ver¬ bringen dürfen und recht Schritt vor Schritt zu gehen.
Der Morgen deckte dem Eleven dieses Emanuels wie Kindern erst auf, was die Nacht seinem Herzen für ein Christgeschenk bescheeret hatte. Welche Ge¬ stalt trat im Morgenglanz vor ihn, da das stille, kindliche, beruhigte Gesicht des Lehrers, über das einmal Stürme gezogen waren, wie auf dem sanften weißen Monde Vulkane gelodert haben, ihn auf eine Weise anlächelte, daß sein Inneres in stummer Wonne zerfloß. Besonders im Profil schien diese hohe Gestalt am Ufer der Erde zu stehen und hinun¬
aus Erdenlicht. Da es nur wenige Seelen giebt, die wiſſen, wie weit die Harmonie der aͤuſſern Na¬ tur mit unſerer reicht und wie ſehr das ganze All nur Eine Aeolsharfe iſt, mit laͤngern und kuͤrzern Saiten, mit langſamern und ſchnellern Bebungen vor einem goͤttlichen Hauche ruhend: ſo fodere ich nicht, daß jeder meinem Emanuel vergebe. —
Nach der uͤber ein halbes Leben erhabenen Szene kamen beide beim blinden Juͤngling an, und ſeine Floͤte hob das Herz aus dem ſchlagenden Fieberblut ſanft in den beruhigten Aether des Himmels im Traume hinuͤber.
Da ich ſo gerne um dieſen Emanuel bin: ſo goͤnne mir der Leſer die Freude, alle Stunden aus¬ einander zu blaͤttern, die wir in ſeinem Hauſe ver¬ bringen duͤrfen und recht Schritt vor Schritt zu gehen.
Der Morgen deckte dem Eleven dieſes Emanuels wie Kindern erſt auf, was die Nacht ſeinem Herzen fuͤr ein Chriſtgeſchenk beſcheeret hatte. Welche Ge¬ ſtalt trat im Morgenglanz vor ihn, da das ſtille, kindliche, beruhigte Geſicht des Lehrers, uͤber das einmal Stuͤrme gezogen waren, wie auf dem ſanften weißen Monde Vulkane gelodert haben, ihn auf eine Weiſe anlaͤchelte, daß ſein Inneres in ſtummer Wonne zerfloß. Beſonders im Profil ſchien dieſe hohe Geſtalt am Ufer der Erde zu ſtehen und hinun¬
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die wiſſen, wie weit die Harmonie der aͤuſſern Na¬
tur mit unſerer reicht und wie ſehr das ganze All
nur Eine Aeolsharfe iſt, mit laͤngern und kuͤrzern
Saiten, mit langſamern und ſchnellern Bebungen
vor einem goͤttlichen Hauche ruhend: ſo fodere ich
nicht, daß jeder meinem Emanuel vergebe. —
Nach der uͤber ein halbes Leben erhabenen Szene
kamen beide beim blinden Juͤngling an, und ſeine
Floͤte hob das Herz aus dem ſchlagenden Fieberblut
ſanft in den beruhigten Aether des Himmels im
Traume hinuͤber.
Da ich ſo gerne um dieſen Emanuel bin: ſo
goͤnne mir der Leſer die Freude, alle Stunden aus¬
einander zu blaͤttern, die wir in ſeinem Hauſe ver¬
bringen duͤrfen und recht Schritt vor Schritt zu
gehen.
Der Morgen deckte dem Eleven dieſes Emanuels
wie Kindern erſt auf, was die Nacht ſeinem Herzen
fuͤr ein Chriſtgeſchenk beſcheeret hatte. Welche Ge¬
ſtalt trat im Morgenglanz vor ihn, da das ſtille,
kindliche, beruhigte Geſicht des Lehrers, uͤber das
einmal Stuͤrme gezogen waren, wie auf dem ſanften
weißen Monde Vulkane gelodert haben, ihn auf eine
Weiſe anlaͤchelte, daß ſein Inneres in ſtummer
Wonne zerfloß. Beſonders im Profil ſchien dieſe
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/333>, abgerufen am 24.11.2024.
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