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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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Ein durchsichtiges Wäldgen von goldgrünen Birken
stieg in hohem Gras drüben den nördlichen Berg
hinan, auf dessen Kuppel fünf hohe Tannen, als
Ruinen einer gestürzten Waldung horsteten. -- --

Emanuels kleines Haus stand am Ende des Dor¬
fes in einem Gestrick von Jelängerjelieber und in
der Umarmung eines Lindenbaums, der es durch¬
wuchs. . . Sein Herz quoll auf: "sey gesegnet, stil¬
"ler Hafen! den eine große Seele heiligt, die hier
"gen Himmel sieht und wartet, um ins Meer der
"Ewigkeit zu gehen!" -- Plötzlich warfen die Fen¬
ster der Abtei, wo sich Klotilde erzogen hatte, die
Flammen des Abendroths auf ihn -- und die Sonne
ging sanft wie ein Pen nach Amerika -- und die
dünne Nacht legte sich über die Natur herüber --
und die grüne Klause Emanuels hüllte sich ein. . .
Da kniete er einsam auf dem Gebirge, auf dieser
Thronstufe nieder und sah in den glühende Westen
und über die ganze stille Erde und in den Himmel
und machte seinen Geist groß, um an Gott zu den¬
ken. . . .

Als er kniete: war alles so groß und so sanft --
Welten und Sonnen zogen von Morgen herauf und
das schillernde Würmgen drängte sich in seinen stau¬
bigten Blumenkelch hinab -- der Abendwind schlug
seinen unermeßlichen Flügel und die kleine nackte
Lerche ruhte warm unter der Brust der zerfließenden

Ein durchſichtiges Waͤldgen von goldgruͤnen Birken
ſtieg in hohem Gras druͤben den noͤrdlichen Berg
hinan, auf deſſen Kuppel fuͤnf hohe Tannen, als
Ruinen einer geſtuͤrzten Waldung horſteten. — —

Emanuels kleines Haus ſtand am Ende des Dor¬
fes in einem Geſtrick von Jelaͤngerjelieber und in
der Umarmung eines Lindenbaums, der es durch¬
wuchs. . . Sein Herz quoll auf: »ſey geſegnet, ſtil¬
»ler Hafen! den eine große Seele heiligt, die hier
»gen Himmel ſieht und wartet, um ins Meer der
»Ewigkeit zu gehen!« — Ploͤtzlich warfen die Fen¬
ſter der Abtei, wo ſich Klotilde erzogen hatte, die
Flammen des Abendroths auf ihn — und die Sonne
ging ſanft wie ein Pen nach Amerika — und die
duͤnne Nacht legte ſich uͤber die Natur heruͤber —
und die gruͤne Klauſe Emanuels huͤllte ſich ein. . .
Da kniete er einſam auf dem Gebirge, auf dieſer
Thronſtufe nieder und ſah in den gluͤhende Weſten
und uͤber die ganze ſtille Erde und in den Himmel
und machte ſeinen Geiſt groß, um an Gott zu den¬
ken. . . .

Als er kniete: war alles ſo groß und ſo ſanft —
Welten und Sonnen zogen von Morgen herauf und
das ſchillernde Wuͤrmgen draͤngte ſich in ſeinen ſtau¬
bigten Blumenkelch hinab — der Abendwind ſchlug
ſeinen unermeßlichen Fluͤgel und die kleine nackte
Lerche ruhte warm unter der Bruſt der zerfließenden

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[312/0323] Ein durchſichtiges Waͤldgen von goldgruͤnen Birken ſtieg in hohem Gras druͤben den noͤrdlichen Berg hinan, auf deſſen Kuppel fuͤnf hohe Tannen, als Ruinen einer geſtuͤrzten Waldung horſteten. — — Emanuels kleines Haus ſtand am Ende des Dor¬ fes in einem Geſtrick von Jelaͤngerjelieber und in der Umarmung eines Lindenbaums, der es durch¬ wuchs. . . Sein Herz quoll auf: »ſey geſegnet, ſtil¬ »ler Hafen! den eine große Seele heiligt, die hier »gen Himmel ſieht und wartet, um ins Meer der »Ewigkeit zu gehen!« — Ploͤtzlich warfen die Fen¬ ſter der Abtei, wo ſich Klotilde erzogen hatte, die Flammen des Abendroths auf ihn — und die Sonne ging ſanft wie ein Pen nach Amerika — und die duͤnne Nacht legte ſich uͤber die Natur heruͤber — und die gruͤne Klauſe Emanuels huͤllte ſich ein. . . Da kniete er einſam auf dem Gebirge, auf dieſer Thronſtufe nieder und ſah in den gluͤhende Weſten und uͤber die ganze ſtille Erde und in den Himmel und machte ſeinen Geiſt groß, um an Gott zu den¬ ken. . . . Als er kniete: war alles ſo groß und ſo ſanft — Welten und Sonnen zogen von Morgen herauf und das ſchillernde Wuͤrmgen draͤngte ſich in ſeinen ſtau¬ bigten Blumenkelch hinab — der Abendwind ſchlug ſeinen unermeßlichen Fluͤgel und die kleine nackte Lerche ruhte warm unter der Bruſt der zerfließenden

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/323>, abgerufen am 22.07.2024.