terschied, bloß um meinen Satz umzustoßen, von heute an behalten werden. Und dann geht mir einer von den zwei Probiersteinen verlohren, woran ich bisher gelehrte Frauenzimmer strich -- der zweite, den ich behalte, ist ihr linker Daumennagel, den das Federmesser voll Narben geschnitten.
Einer, der viele Wohlthaten empfangen, hört auf sie zu zählen und fängt an, sie zu wägen -- als wärens Vota.
Die Versetzung in gute Karaktere thut einem Dichter und Schauspieler, der seinen behält, mehr Schaden als die Versetzung in schlimme. Ein Geist¬ licher, der noch dazu nur die erstere Versetzung frei hat, ist der moralischen Atonie mehr ausgesetzt als der Vers- und Rollenmacher, der eine heilige Rolle wieder durch eine unheilige gut zu machen vermag.
Die Leidenschaft macht die besten Beobachtungen und die elendesten Schlüsse. Sie ist ein Fernrohr, dessen Feld desto heller ist, je enger es ist.
Die Menschen fodern von einem neuen Fürsten -- Bischof -- Haushofmeister -- Kinderstube Hof¬ meister -- Bettelvogt -- Engraisseur -- Stadtmusi¬
terſchied, bloß um meinen Satz umzuſtoßen, von heute an behalten werden. Und dann geht mir einer von den zwei Probierſteinen verlohren, woran ich bisher gelehrte Frauenzimmer ſtrich — der zweite, den ich behalte, iſt ihr linker Daumennagel, den das Federmeſſer voll Narben geſchnitten.
Einer, der viele Wohlthaten empfangen, hoͤrt auf ſie zu zaͤhlen und faͤngt an, ſie zu waͤgen — als waͤrens Vota.
Die Verſetzung in gute Karaktere thut einem Dichter und Schauſpieler, der ſeinen behaͤlt, mehr Schaden als die Verſetzung in ſchlimme. Ein Geiſt¬ licher, der noch dazu nur die erſtere Verſetzung frei hat, iſt der moraliſchen Atonie mehr ausgeſetzt als der Vers- und Rollenmacher, der eine heilige Rolle wieder durch eine unheilige gut zu machen vermag.
Die Leidenſchaft macht die beſten Beobachtungen und die elendeſten Schluͤſſe. Sie iſt ein Fernrohr, deſſen Feld deſto heller iſt, je enger es iſt.
Die Menſchen fodern von einem neuen Fuͤrſten — Biſchof — Haushofmeiſter — Kinderſtube Hof¬ meiſter — Bettelvogt — Engraiſſeur — Stadtmuſi¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0311"n="300"/>
terſchied, bloß um meinen Satz umzuſtoßen, von<lb/>
heute an behalten werden. Und dann geht mir einer<lb/>
von den zwei Probierſteinen verlohren, woran ich<lb/>
bisher gelehrte Frauenzimmer ſtrich — der zweite,<lb/>
den ich behalte, iſt ihr linker Daumennagel, den das<lb/>
Federmeſſer voll Narben geſchnitten.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Einer, der viele Wohlthaten empfangen, hoͤrt<lb/>
auf ſie zu <hirendition="#g">zaͤhlen</hi> und faͤngt an, ſie zu <hirendition="#g">waͤgen</hi>—<lb/>
als waͤrens Vota.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Die Verſetzung in gute Karaktere thut einem<lb/>
Dichter und Schauſpieler, der ſeinen behaͤlt, mehr<lb/>
Schaden als die Verſetzung in ſchlimme. Ein Geiſt¬<lb/>
licher, der noch dazu nur die erſtere Verſetzung frei<lb/>
hat, iſt der moraliſchen <hirendition="#g">Atonie</hi> mehr ausgeſetzt<lb/>
als der Vers- und Rollenmacher, der eine heilige<lb/>
Rolle wieder durch eine unheilige gut zu machen<lb/>
vermag.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Die Leidenſchaft macht die beſten Beobachtungen<lb/>
und die elendeſten Schluͤſſe. Sie iſt ein Fernrohr,<lb/>
deſſen Feld deſto heller iſt, je enger es iſt.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Die Menſchen fodern von einem neuen Fuͤrſten<lb/>— Biſchof — Haushofmeiſter — Kinderſtube Hof¬<lb/>
meiſter — Bettelvogt — Engraiſſeur — Stadtmuſi¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[300/0311]
terſchied, bloß um meinen Satz umzuſtoßen, von
heute an behalten werden. Und dann geht mir einer
von den zwei Probierſteinen verlohren, woran ich
bisher gelehrte Frauenzimmer ſtrich — der zweite,
den ich behalte, iſt ihr linker Daumennagel, den das
Federmeſſer voll Narben geſchnitten.
Einer, der viele Wohlthaten empfangen, hoͤrt
auf ſie zu zaͤhlen und faͤngt an, ſie zu waͤgen —
als waͤrens Vota.
Die Verſetzung in gute Karaktere thut einem
Dichter und Schauſpieler, der ſeinen behaͤlt, mehr
Schaden als die Verſetzung in ſchlimme. Ein Geiſt¬
licher, der noch dazu nur die erſtere Verſetzung frei
hat, iſt der moraliſchen Atonie mehr ausgeſetzt
als der Vers- und Rollenmacher, der eine heilige
Rolle wieder durch eine unheilige gut zu machen
vermag.
Die Leidenſchaft macht die beſten Beobachtungen
und die elendeſten Schluͤſſe. Sie iſt ein Fernrohr,
deſſen Feld deſto heller iſt, je enger es iſt.
Die Menſchen fodern von einem neuen Fuͤrſten
— Biſchof — Haushofmeiſter — Kinderſtube Hof¬
meiſter — Bettelvogt — Engraiſſeur — Stadtmuſi¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/311>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.