Schauplatz weiter -- Im Schauplatz lagen umher Marmorstücke, auf welche die Schmiedekohle Ra¬ phaels Gestalten gerissen hatte, eingesunkne Sphinxe, Landkartensteine, worauf die dunkle Natur kleine Ruinen und ertretetene Städte geäzet hatte, -- und tiefe Oefnungen in der Erde die weniger Gräber als Formen zu Glocken waren, die darin gegossen wer¬ den -- dreißig giftvolle Eibenbäume standen von Rosen umflochten, gleichsam als wären sie Zeichen der dreißig wüthend-leidenschaftlichen Jahre des Menschen -- drei und zwanzig Trauerbirken waren zu einem niedrigen Gebüsch zusammengebogen und in einander gedrückt -- in das Gebüsch liefen alle Steige der Insel -- hinter dem Gebüsch verfinster¬ ten neunfache Flöre in verschlungen Wallungen den Blick nach dem hohen Tempel -- durch die Flöre stiegen fünf Gewitterableiter in den Himmel auf und ein Regenbogen aus zweien in einander gekrümmten Wasserstrahlen zweier Fontainen schwebte flimmernd am Gezweige und immer wölbten sich die zwei Stra¬ len herauf und immer zersplitterten sie einander oben in der Berührung -- --
Als Horion seinen Sohn, dessen Herz von lauter unsichtbaren Händen gefasset, erschreckt, gedrückt, entzündet, erkältet wurde, in das niedrige Birken- Gebüsch hineinzog: so began die lallende Todtenzunge eines Orgel-Tremulanten durch die öde Stille den
Schauplatz weiter — Im Schauplatz lagen umher Marmorſtuͤcke, auf welche die Schmiedekohle Ra¬ phaels Geſtalten geriſſen hatte, eingeſunkne Sphinxe, Landkartenſteine, worauf die dunkle Natur kleine Ruinen und ertretetene Staͤdte geaͤzet hatte, — und tiefe Oefnungen in der Erde die weniger Graͤber als Formen zu Glocken waren, die darin gegoſſen wer¬ den — dreißig giftvolle Eibenbaͤume ſtanden von Roſen umflochten, gleichſam als waͤren ſie Zeichen der dreißig wuͤthend-leidenſchaftlichen Jahre des Menſchen — drei und zwanzig Trauerbirken waren zu einem niedrigen Gebuͤſch zuſammengebogen und in einander gedruͤckt — in das Gebuͤſch liefen alle Steige der Inſel — hinter dem Gebuͤſch verfinſter¬ ten neunfache Floͤre in verſchlungen Wallungen den Blick nach dem hohen Tempel — durch die Floͤre ſtiegen fuͤnf Gewitterableiter in den Himmel auf und ein Regenbogen aus zweien in einander gekruͤmmten Waſſerſtrahlen zweier Fontainen ſchwebte flimmernd am Gezweige und immer woͤlbten ſich die zwei Stra¬ len herauf und immer zerſplitterten ſie einander oben in der Beruͤhrung — —
Als Horion ſeinen Sohn, deſſen Herz von lauter unſichtbaren Haͤnden gefaſſet, erſchreckt, gedruͤckt, entzuͤndet, erkaͤltet wurde, in das niedrige Birken- Gebuͤſch hineinzog: ſo began die lallende Todtenzunge eines Orgel-Tremulanten durch die oͤde Stille den
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0297"n="286"/>
Schauplatz weiter — Im Schauplatz lagen umher<lb/>
Marmorſtuͤcke, auf welche die Schmiedekohle Ra¬<lb/>
phaels Geſtalten geriſſen hatte, eingeſunkne Sphinxe,<lb/>
Landkartenſteine, worauf die dunkle Natur kleine<lb/>
Ruinen und ertretetene Staͤdte geaͤzet hatte, — und<lb/>
tiefe Oefnungen in der Erde die weniger Graͤber als<lb/>
Formen zu Glocken waren, die darin gegoſſen wer¬<lb/>
den — dreißig giftvolle Eibenbaͤume ſtanden von<lb/>
Roſen umflochten, gleichſam als waͤren ſie Zeichen<lb/>
der dreißig <choice><sic>wuͤthend-leidenſchaftlicheu</sic><corr>wuͤthend-leidenſchaftlichen</corr></choice> Jahre des<lb/>
Menſchen — drei und zwanzig Trauerbirken waren<lb/>
zu einem niedrigen Gebuͤſch zuſammengebogen und in<lb/>
einander gedruͤckt — in das Gebuͤſch liefen alle<lb/>
Steige der Inſel — hinter dem Gebuͤſch verfinſter¬<lb/>
ten neunfache Floͤre in verſchlungen Wallungen den<lb/>
Blick nach dem hohen Tempel — durch die Floͤre<lb/>ſtiegen fuͤnf Gewitterableiter in den Himmel auf und<lb/>
ein Regenbogen aus zweien in einander gekruͤmmten<lb/>
Waſſerſtrahlen zweier Fontainen ſchwebte flimmernd<lb/>
am Gezweige und immer woͤlbten ſich die zwei Stra¬<lb/>
len herauf und immer zerſplitterten ſie einander oben<lb/>
in der Beruͤhrung ——</p><lb/><p>Als Horion ſeinen Sohn, deſſen Herz von lauter<lb/>
unſichtbaren Haͤnden gefaſſet, erſchreckt, gedruͤckt,<lb/>
entzuͤndet, erkaͤltet wurde, in das niedrige Birken-<lb/>
Gebuͤſch hineinzog: ſo began die lallende Todtenzunge<lb/>
eines Orgel-Tremulanten durch die oͤde Stille den<lb/></p></div></body></text></TEI>
[286/0297]
Schauplatz weiter — Im Schauplatz lagen umher
Marmorſtuͤcke, auf welche die Schmiedekohle Ra¬
phaels Geſtalten geriſſen hatte, eingeſunkne Sphinxe,
Landkartenſteine, worauf die dunkle Natur kleine
Ruinen und ertretetene Staͤdte geaͤzet hatte, — und
tiefe Oefnungen in der Erde die weniger Graͤber als
Formen zu Glocken waren, die darin gegoſſen wer¬
den — dreißig giftvolle Eibenbaͤume ſtanden von
Roſen umflochten, gleichſam als waͤren ſie Zeichen
der dreißig wuͤthend-leidenſchaftlichen Jahre des
Menſchen — drei und zwanzig Trauerbirken waren
zu einem niedrigen Gebuͤſch zuſammengebogen und in
einander gedruͤckt — in das Gebuͤſch liefen alle
Steige der Inſel — hinter dem Gebuͤſch verfinſter¬
ten neunfache Floͤre in verſchlungen Wallungen den
Blick nach dem hohen Tempel — durch die Floͤre
ſtiegen fuͤnf Gewitterableiter in den Himmel auf und
ein Regenbogen aus zweien in einander gekruͤmmten
Waſſerſtrahlen zweier Fontainen ſchwebte flimmernd
am Gezweige und immer woͤlbten ſich die zwei Stra¬
len herauf und immer zerſplitterten ſie einander oben
in der Beruͤhrung — —
Als Horion ſeinen Sohn, deſſen Herz von lauter
unſichtbaren Haͤnden gefaſſet, erſchreckt, gedruͤckt,
entzuͤndet, erkaͤltet wurde, in das niedrige Birken-
Gebuͤſch hineinzog: ſo began die lallende Todtenzunge
eines Orgel-Tremulanten durch die oͤde Stille den
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/297>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.