er dotirte noch einmal nach -- Und als er wieder ihn erwartete und sein funfzigjähriges Alter ohne Aussicht erfuhr und als ihn die Beklemmung über¬ wältigte, die ihm allzeit alte aber unentwickelte Menschen machten, graue Gesellen, alte Schreiber, alte Provisores, alte Famuli: so war er ja entschul¬ digt, daß er wieder zurücklief und dem erstaunten Alten stumm die neuen Zeichen seiner überfließenden beglückenden Seele gab -- -- Und als er in der neuen Entfernung sein in Liebe zergangnes, gleichsam nur um seine Seele schwimmendes Herz immer mehr nach Wohlthun dürsten, und als er einen unbegreif¬ lichen Hang zu neuem Geben und das Sehnen fühl¬ te, irgend einem Menschen heute alles, alles hinzu¬ legen: so merkt' er, daß er jetzt zu weich sey und zu seelig und zu trunken und zu schwach.
Sobald man im Dorfe die gewissen Nachrichten von diesem Transitozoll der Wohlthätigkeit in Hän¬ den hatte: so legten sich Nachmittags ungefähr 15 Kinder in verschiednen Distanzen an den Weg, besetzten die engen Pässe und stellten Schildwachen und enfans perdus aus, um Zoll-Defraudationen abzukehren. . . .
Ein Mensch, der aus drei geraden Stunden sie¬ ben krumme konstruirte wie Viktor, hat oft Hunger aber sicher größern als er; -- er nahm blos das Leibnizische Monaden-Diner aus der Tasche, Zwie¬
er dotirte noch einmal nach — Und als er wieder ihn erwartete und ſein funfzigjaͤhriges Alter ohne Ausſicht erfuhr und als ihn die Beklemmung uͤber¬ waͤltigte, die ihm allzeit alte aber unentwickelte Menſchen machten, graue Geſellen, alte Schreiber, alte Proviſores, alte Famuli: ſo war er ja entſchul¬ digt, daß er wieder zuruͤcklief und dem erſtaunten Alten ſtumm die neuen Zeichen ſeiner uͤberfließenden begluͤckenden Seele gab — — Und als er in der neuen Entfernung ſein in Liebe zergangnes, gleichſam nur um ſeine Seele ſchwimmendes Herz immer mehr nach Wohlthun duͤrſten, und als er einen unbegreif¬ lichen Hang zu neuem Geben und das Sehnen fuͤhl¬ te, irgend einem Menſchen heute alles, alles hinzu¬ legen: ſo merkt' er, daß er jetzt zu weich ſey und zu ſeelig und zu trunken und zu ſchwach.
Sobald man im Dorfe die gewiſſen Nachrichten von dieſem Tranſitozoll der Wohlthaͤtigkeit in Haͤn¬ den hatte: ſo legten ſich Nachmittags ungefaͤhr 15 Kinder in verſchiednen Diſtanzen an den Weg, beſetzten die engen Paͤſſe und ſtellten Schildwachen und enfans perdus aus, um Zoll-Defraudationen abzukehren. . . .
Ein Menſch, der aus drei geraden Stunden ſie¬ ben krumme konſtruirte wie Viktor, hat oft Hunger aber ſicher groͤßern als er; — er nahm blos das Leibniziſche Monaden-Diner aus der Taſche, Zwie¬
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er dotirte noch einmal nach — Und als er wieder
ihn erwartete und ſein funfzigjaͤhriges Alter ohne
Ausſicht erfuhr und als ihn die Beklemmung uͤber¬
waͤltigte, die ihm allzeit alte aber unentwickelte
Menſchen machten, graue Geſellen, alte Schreiber,
alte Proviſores, alte Famuli: ſo war er ja entſchul¬
digt, daß er wieder zuruͤcklief und dem erſtaunten
Alten ſtumm die neuen Zeichen ſeiner uͤberfließenden
begluͤckenden Seele gab — — Und als er in der
neuen Entfernung ſein in Liebe zergangnes, gleichſam
nur um ſeine Seele ſchwimmendes Herz immer mehr
nach Wohlthun duͤrſten, und als er einen unbegreif¬
lichen Hang zu neuem Geben und das Sehnen fuͤhl¬
te, irgend einem Menſchen heute alles, alles hinzu¬
legen: ſo merkt' er, daß er jetzt zu weich ſey und
zu ſeelig und zu trunken und zu ſchwach.
Sobald man im Dorfe die gewiſſen Nachrichten
von dieſem Tranſitozoll der Wohlthaͤtigkeit in Haͤn¬
den hatte: ſo legten ſich Nachmittags ungefaͤhr
15 Kinder in verſchiednen Diſtanzen an den Weg,
beſetzten die engen Paͤſſe und ſtellten Schildwachen
und enfans perdus aus, um Zoll-Defraudationen
abzukehren. . . .
Ein Menſch, der aus drei geraden Stunden ſie¬
ben krumme konſtruirte wie Viktor, hat oft Hunger
aber ſicher groͤßern als er; — er nahm blos das
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/233>, abgerufen am 27.11.2024.
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