kommen, wenn gerade die Sonne ihr Theater betrat. Er hörte schon den musikalischen Wirwar im Wäld¬ gen -- Rosenwolken waren als Blumen in die Son¬ nenbahn gebreitet -- die Warte, dieser Hochaltar, worauf sein erster schöner Abend brannte, entflamm¬ te sich -- die singende Welt der Luft hing jauch¬ zend in den Morgenfarben und im Himmelsblau -- Funken von Wolken hüpften vom Goldbarren am Horizont empor -- endlich wehten die Flammen der Sonne über die Erde herein.
Wahrlich wenn ich an jedem Abende den Son¬ nenaufgang mahlte und an jedem Morgen ihn sähe: ich würde doch wie Kinder rufen: noch einmal, noch einmal!
Mit betäubten Sehnerven und mit vorausschwim¬ menden Farbenflocken gieng er langsam in den Wald wie in einen dunkeln Dohm und sein Herz wurde gros bis zur Andacht. . .
-- Ich will nicht voraussetzen, daß mein Leser ein so prosaisches Gefühl für den Morgen habe, um dieses poetische unverträglich mit Viktors Karak¬ ter zu finden -- ja ich darf seiner Menschenkenntniß zutrauen, daß sie wenig Mühe habe, zwischen solchen dissonen Tönen in Viktor, wie Humor und Empfind¬ samkeit sind, den Leitton auszufinden: ich will mich also unbesorgt dem frohen Anschauen seiner weichen Seele und dem Vertrauen auf fremden Einklang überlassen --
kommen, wenn gerade die Sonne ihr Theater betrat. Er hoͤrte ſchon den muſikaliſchen Wirwar im Waͤld¬ gen — Roſenwolken waren als Blumen in die Son¬ nenbahn gebreitet — die Warte, dieſer Hochaltar, worauf ſein erſter ſchoͤner Abend brannte, entflamm¬ te ſich — die ſingende Welt der Luft hing jauch¬ zend in den Morgenfarben und im Himmelsblau — Funken von Wolken huͤpften vom Goldbarren am Horizont empor — endlich wehten die Flammen der Sonne uͤber die Erde herein.
Wahrlich wenn ich an jedem Abende den Son¬ nenaufgang mahlte und an jedem Morgen ihn ſaͤhe: ich wuͤrde doch wie Kinder rufen: noch einmal, noch einmal!
Mit betaͤubten Sehnerven und mit vorausſchwim¬ menden Farbenflocken gieng er langſam in den Wald wie in einen dunkeln Dohm und ſein Herz wurde gros bis zur Andacht. . .
— Ich will nicht vorausſetzen, daß mein Leſer ein ſo proſaiſches Gefuͤhl fuͤr den Morgen habe, um dieſes poetiſche unvertraͤglich mit Viktors Karak¬ ter zu finden — ja ich darf ſeiner Menſchenkenntniß zutrauen, daß ſie wenig Muͤhe habe, zwiſchen ſolchen diſſonen Toͤnen in Viktor, wie Humor und Empfind¬ ſamkeit ſind, den Leitton auszufinden: ich will mich alſo unbeſorgt dem frohen Anſchauen ſeiner weichen Seele und dem Vertrauen auf fremden Einklang uͤberlaſſen —
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kommen, wenn gerade die Sonne ihr Theater betrat.
Er hoͤrte ſchon den muſikaliſchen Wirwar im Waͤld¬
gen — Roſenwolken waren als Blumen in die Son¬
nenbahn gebreitet — die Warte, dieſer Hochaltar,
worauf ſein erſter ſchoͤner Abend brannte, entflamm¬
te ſich — die ſingende Welt der Luft hing jauch¬
zend in den Morgenfarben und im Himmelsblau —
Funken von Wolken huͤpften vom Goldbarren am
Horizont empor — endlich wehten die Flammen der
Sonne uͤber die Erde herein.
Wahrlich wenn ich an jedem Abende den Son¬
nenaufgang mahlte und an jedem Morgen ihn ſaͤhe:
ich wuͤrde doch wie Kinder rufen: noch einmal, noch
einmal!
Mit betaͤubten Sehnerven und mit vorausſchwim¬
menden Farbenflocken gieng er langſam in den Wald
wie in einen dunkeln Dohm und ſein Herz wurde
gros bis zur Andacht. . .
— Ich will nicht vorausſetzen, daß mein Leſer
ein ſo proſaiſches Gefuͤhl fuͤr den Morgen habe,
um dieſes poetiſche unvertraͤglich mit Viktors Karak¬
ter zu finden — ja ich darf ſeiner Menſchenkenntniß
zutrauen, daß ſie wenig Muͤhe habe, zwiſchen ſolchen
diſſonen Toͤnen in Viktor, wie Humor und Empfind¬
ſamkeit ſind, den Leitton auszufinden: ich will mich
alſo unbeſorgt dem frohen Anſchauen ſeiner weichen Seele
und dem Vertrauen auf fremden Einklang uͤberlaſſen —
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/224>, abgerufen am 26.11.2024.
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