Das fürstliche Gesicht setzte ihn in Verlegenheit, nicht weil es imponirte, sondern weil es dieses blei¬ ben ließ. Es war ein Wochentags-Kurrentgesicht, das auf Münzen, aber nicht auf Preismedaillen ge¬ hörte -- mit Arabesken-Zügen, die weder Gutes noch Böses bedeuten -- von wenigem Hof-Matgold überflogen -- eingeölet mit einem sanften Oel, das die stärksten Wellen erdrücken konnte -- eine Art süsser Wein, mehr den Weibern als Männern trink¬ bar. Von den feinsten Wendungen, die Viktor zu erwiedern gesonnen war, stand nichts zu hören und zu sehen; aber von passenden leichten desto mehr. Viktor wurde durch den Kampf und Wechsel zwi¬ schen Höflichkeit und Wahrheit verlegen. Die Vi¬ sitenverlegenheit entsteht nicht aus' der Ungewißheit und Unwegsamkeit des Steigs, sondern auf den Kreutzwegen und zwischen den zwey Heubündeln des scholastischen Esels. Viktor, dessen Höflich¬ keit immer aus Menschenliebe entsprang, muste die heutige aus Eigennutz entspringen lassen; und dieses wollt' ihm nicht ein. Ausser dem Vater-Ge¬ sicht, vor dem bey den meisten Kindern das ganze Räderwerk eines freien Betragens knarrt und stockt, macht' ihn drittens das verlegen und witzig, daß er et¬ was haben wollte: ich kanns einem jeden -- einen Hofmann ausgenommen, dessen Leben wie das eines Christen ein beständiges Gebet um etwas ist --
Das fuͤrſtliche Geſicht ſetzte ihn in Verlegenheit, nicht weil es imponirte, ſondern weil es dieſes blei¬ ben ließ. Es war ein Wochentags-Kurrentgeſicht, das auf Muͤnzen, aber nicht auf Preismedaillen ge¬ hoͤrte — mit Arabesken-Zuͤgen, die weder Gutes noch Boͤſes bedeuten — von wenigem Hof-Matgold uͤberflogen — eingeoͤlet mit einem ſanften Oel, das die ſtaͤrkſten Wellen erdruͤcken konnte — eine Art ſuͤſſer Wein, mehr den Weibern als Maͤnnern trink¬ bar. Von den feinſten Wendungen, die Viktor zu erwiedern geſonnen war, ſtand nichts zu hoͤren und zu ſehen; aber von paſſenden leichten deſto mehr. Viktor wurde durch den Kampf und Wechſel zwi¬ ſchen Hoͤflichkeit und Wahrheit verlegen. Die Vi¬ ſitenverlegenheit entſteht nicht aus' der Ungewißheit und Unwegſamkeit des Steigs, ſondern auf den Kreutzwegen und zwiſchen den zwey Heubuͤndeln des ſcholaſtiſchen Eſels. Viktor, deſſen Hoͤflich¬ keit immer aus Menſchenliebe entſprang, muſte die heutige aus Eigennutz entſpringen laſſen; und dieſes wollt' ihm nicht ein. Auſſer dem Vater-Ge¬ ſicht, vor dem bey den meiſten Kindern das ganze Raͤderwerk eines freien Betragens knarrt und ſtockt, macht' ihn drittens das verlegen und witzig, daß er et¬ was haben wollte: ich kanns einem jeden — einen Hofmann ausgenommen, deſſen Leben wie das eines Chriſten ein beſtaͤndiges Gebet um etwas iſt —
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Das fuͤrſtliche Geſicht ſetzte ihn in Verlegenheit,
nicht weil es imponirte, ſondern weil es dieſes blei¬
ben ließ. Es war ein Wochentags-Kurrentgeſicht,
das auf Muͤnzen, aber nicht auf Preismedaillen ge¬
hoͤrte — mit Arabesken-Zuͤgen, die weder Gutes
noch Boͤſes bedeuten — von wenigem Hof-Matgold
uͤberflogen — eingeoͤlet mit einem ſanften Oel, das
die ſtaͤrkſten Wellen erdruͤcken konnte — eine Art
ſuͤſſer Wein, mehr den Weibern als Maͤnnern trink¬
bar. Von den feinſten Wendungen, die Viktor zu
erwiedern geſonnen war, ſtand nichts zu hoͤren und
zu ſehen; aber von paſſenden leichten deſto mehr.
Viktor wurde durch den Kampf und Wechſel zwi¬
ſchen Hoͤflichkeit und Wahrheit verlegen. Die Vi¬
ſitenverlegenheit entſteht nicht aus' der Ungewißheit
und Unwegſamkeit des Steigs, ſondern auf den
Kreutzwegen und zwiſchen den zwey Heubuͤndeln
des ſcholaſtiſchen Eſels. Viktor, deſſen Hoͤflich¬
keit immer aus Menſchenliebe entſprang, muſte
die heutige aus Eigennutz entſpringen laſſen; und
dieſes wollt' ihm nicht ein. Auſſer dem Vater-Ge¬
ſicht, vor dem bey den meiſten Kindern das ganze
Raͤderwerk eines freien Betragens knarrt und ſtockt,
macht' ihn drittens das verlegen und witzig, daß er et¬
was haben wollte: ich kanns einem jeden — einen
Hofmann ausgenommen, deſſen Leben wie das eines
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 201. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/212>, abgerufen am 25.11.2024.
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