Gegen Viktor als künftigen Hofmann und Gön¬ ner, wußt' er doch nicht den aufrechten Hof-An¬ stand anzunehmen: der sich und andere zugleich ehret; aber gegen die Pfarrleute beobachtete er die ordent¬ liche Hof-Verachtung hinlänglich und zeigte ihnen genugsam, wie wenig er, ohne Absichten auf den Sohn des Lords, nur über ihre Gartenmauer oder Fensterbrüstung geschauet hätte, geschweige gekommen wäre. Viktor haßte an seinem Nächsten nie etwas anders als den Haß der andern Nächsten; und seine Achtung aller Stände, seine Verachtung aller Stan¬ des-Narren, sein Groll gegen Zeremonien und seine humoristische Zuneigung zu den kleinen Bühnen des Lebens machten den größten Kontrast mit den phar¬ mazevtischen Infusionsthiergen, und mit dessen Ekel vor Menschen und mit dessen Bücken vor Großen.
Viktor gab seinem Hausherrn dreißig Grüße an den Italiener Tostato in Kusseviz mit, der mit ihm von Göttingen aus 11/2 Tag gereiset und ge¬ lacht und getanzt hatte. -- Der wegfahrende Apo¬ theker ließ in Viktor einen verdrüslichen sauern Bo¬ densatz zurück; sogar über den Blasbalgtreter, der jeden Sonntag den Kaffee hinauftrug, konnt' er nicht wie sonst lachen. Ich will sagen, warum er sonst lachte.
Der Kutscher war dann rasirt und zwar aus der ersten Hand, von seiner eignen. Nun hatte das
Gegen Viktor als kuͤnftigen Hofmann und Goͤn¬ ner, wußt' er doch nicht den aufrechten Hof-An¬ ſtand anzunehmen: der ſich und andere zugleich ehret; aber gegen die Pfarrleute beobachtete er die ordent¬ liche Hof-Verachtung hinlaͤnglich und zeigte ihnen genugſam, wie wenig er, ohne Abſichten auf den Sohn des Lords, nur uͤber ihre Gartenmauer oder Fenſterbruͤſtung geſchauet haͤtte, geſchweige gekommen waͤre. Viktor haßte an ſeinem Naͤchſten nie etwas anders als den Haß der andern Naͤchſten; und ſeine Achtung aller Staͤnde, ſeine Verachtung aller Stan¬ des-Narren, ſein Groll gegen Zeremonien und ſeine humoriſtiſche Zuneigung zu den kleinen Buͤhnen des Lebens machten den groͤßten Kontraſt mit den phar¬ mazevtiſchen Infuſionsthiergen, und mit deſſen Ekel vor Menſchen und mit deſſen Buͤcken vor Großen.
Viktor gab ſeinem Hausherrn dreißig Gruͤße an den Italiener Toſtato in Kuſſeviz mit, der mit ihm von Goͤttingen aus 1½ Tag gereiſet und ge¬ lacht und getanzt hatte. — Der wegfahrende Apo¬ theker ließ in Viktor einen verdruͤslichen ſauern Bo¬ denſatz zuruͤck; ſogar uͤber den Blasbalgtreter, der jeden Sonntag den Kaffee hinauftrug, konnt' er nicht wie ſonſt lachen. Ich will ſagen, warum er ſonſt lachte.
Der Kutſcher war dann raſirt und zwar aus der erſten Hand, von ſeiner eignen. Nun hatte das
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0199"n="188"/><p>Gegen Viktor als kuͤnftigen Hofmann und Goͤn¬<lb/>
ner, wußt' er doch nicht den aufrechten Hof-An¬<lb/>ſtand anzunehmen: der ſich und andere zugleich ehret;<lb/>
aber gegen die Pfarrleute beobachtete er die ordent¬<lb/>
liche Hof-Verachtung hinlaͤnglich und zeigte ihnen<lb/>
genugſam, wie wenig er, ohne Abſichten auf den<lb/>
Sohn des Lords, nur uͤber ihre Gartenmauer oder<lb/>
Fenſterbruͤſtung geſchauet haͤtte, geſchweige gekommen<lb/>
waͤre. Viktor haßte an ſeinem Naͤchſten nie etwas<lb/>
anders als den Haß der andern Naͤchſten; und ſeine<lb/>
Achtung <hirendition="#g">aller</hi> Staͤnde, ſeine Verachtung aller <hirendition="#g">Stan¬<lb/>
des</hi>-Narren, ſein Groll gegen Zeremonien und ſeine<lb/>
humoriſtiſche Zuneigung zu den kleinen Buͤhnen des<lb/>
Lebens machten den groͤßten Kontraſt mit den phar¬<lb/>
mazevtiſchen Infuſionsthiergen, und mit deſſen Ekel<lb/>
vor Menſchen und mit deſſen Buͤcken vor Großen.</p><lb/><p>Viktor gab ſeinem Hausherrn dreißig Gruͤße an<lb/>
den Italiener <hirendition="#g">Toſtato</hi> in Kuſſeviz mit, der mit<lb/>
ihm von Goͤttingen aus 1½ Tag gereiſet und ge¬<lb/>
lacht und getanzt hatte. — Der wegfahrende Apo¬<lb/>
theker ließ in Viktor einen verdruͤslichen ſauern Bo¬<lb/>
denſatz zuruͤck; ſogar uͤber den Blasbalgtreter, der<lb/>
jeden Sonntag den Kaffee hinauftrug, konnt' er<lb/>
nicht wie ſonſt lachen. Ich will ſagen, warum er<lb/>ſonſt lachte.</p><lb/><p>Der Kutſcher war dann raſirt und zwar aus der<lb/>
erſten Hand, von ſeiner eignen. Nun hatte das<lb/></p></div></body></text></TEI>
[188/0199]
Gegen Viktor als kuͤnftigen Hofmann und Goͤn¬
ner, wußt' er doch nicht den aufrechten Hof-An¬
ſtand anzunehmen: der ſich und andere zugleich ehret;
aber gegen die Pfarrleute beobachtete er die ordent¬
liche Hof-Verachtung hinlaͤnglich und zeigte ihnen
genugſam, wie wenig er, ohne Abſichten auf den
Sohn des Lords, nur uͤber ihre Gartenmauer oder
Fenſterbruͤſtung geſchauet haͤtte, geſchweige gekommen
waͤre. Viktor haßte an ſeinem Naͤchſten nie etwas
anders als den Haß der andern Naͤchſten; und ſeine
Achtung aller Staͤnde, ſeine Verachtung aller Stan¬
des-Narren, ſein Groll gegen Zeremonien und ſeine
humoriſtiſche Zuneigung zu den kleinen Buͤhnen des
Lebens machten den groͤßten Kontraſt mit den phar¬
mazevtiſchen Infuſionsthiergen, und mit deſſen Ekel
vor Menſchen und mit deſſen Buͤcken vor Großen.
Viktor gab ſeinem Hausherrn dreißig Gruͤße an
den Italiener Toſtato in Kuſſeviz mit, der mit
ihm von Goͤttingen aus 1½ Tag gereiſet und ge¬
lacht und getanzt hatte. — Der wegfahrende Apo¬
theker ließ in Viktor einen verdruͤslichen ſauern Bo¬
denſatz zuruͤck; ſogar uͤber den Blasbalgtreter, der
jeden Sonntag den Kaffee hinauftrug, konnt' er
nicht wie ſonſt lachen. Ich will ſagen, warum er
ſonſt lachte.
Der Kutſcher war dann raſirt und zwar aus der
erſten Hand, von ſeiner eignen. Nun hatte das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/199>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.