Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

sicht, sondern das Gehirn anfeindet -- weil ihre
Liebe jetzt ohne Eifersucht ist. Nämlich sie stand
mit dem Evangelisten Matthieu in einem gewissen
Liebesverständniß, das sich (nach unserm bürgerlichen
Gefühl) vom Hasse in nichts unterscheidet als in der
-- Dauer. Liebes Persiflagen waren ihre Liebeser¬
klärungen -- ihre Blicke waren Epigrammen -- seine
Schäferstunden salzte er mit komischen Erzählungen
von seinen Schäferstunden an andern Orten -- und
zur Zeit, wo ein heiliger Mann seinen Psalm ab¬
zubeten pflegt *), waren beide ironisch. Eine solche
erotische Verbindung ist nichts als die Unterab¬
theilung irgend einer politischen . . . Aber zurück
zur Geschichte!

Der Kammerherr wollte seinem Gaste jetzt etwas
zeigen, was einen Doktor und Gelehrten mehr inte¬
ressirte. Zu dem Zimmer, worin das etwas war,
kam man durch der Kammerherrin und durch Klotil¬
dens Zimmer. Da man in jener ihrem einen Rast¬
tag hielt: so standen Viktors Augen träumend auf
Klotildens Silhouette fest, die Matthieu neulich aus
dem Nichts geschnitten und die die Kammerherrin
hier aus Schmeichelei gegen den Schattenreisser un¬
ter Glas aufgehangen hatte. Sonderbarer d. h. zu¬

*) Vayle's dictionnair art. Frencois d'Assise not, C.
M 2

ſicht, ſondern das Gehirn anfeindet — weil ihre
Liebe jetzt ohne Eiferſucht iſt. Naͤmlich ſie ſtand
mit dem Evangeliſten Matthieu in einem gewiſſen
Liebesverſtaͤndniß, das ſich (nach unſerm buͤrgerlichen
Gefuͤhl) vom Haſſe in nichts unterſcheidet als in der
— Dauer. Liebes Perſiflagen waren ihre Liebeser¬
klaͤrungen — ihre Blicke waren Epigrammen — ſeine
Schaͤferſtunden ſalzte er mit komiſchen Erzaͤhlungen
von ſeinen Schaͤferſtunden an andern Orten — und
zur Zeit, wo ein heiliger Mann ſeinen Pſalm ab¬
zubeten pflegt *), waren beide ironiſch. Eine ſolche
erotiſche Verbindung iſt nichts als die Unterab¬
theilung irgend einer politiſchen . . . Aber zuruͤck
zur Geſchichte!

Der Kammerherr wollte ſeinem Gaſte jetzt etwas
zeigen, was einen Doktor und Gelehrten mehr inte¬
reſſirte. Zu dem Zimmer, worin das etwas war,
kam man durch der Kammerherrin und durch Klotil¬
dens Zimmer. Da man in jener ihrem einen Raſt¬
tag hielt: ſo ſtanden Viktors Augen traͤumend auf
Klotildens Silhouette feſt, die Matthieu neulich aus
dem Nichts geſchnitten und die die Kammerherrin
hier aus Schmeichelei gegen den Schattenreiſſer un¬
ter Glas aufgehangen hatte. Sonderbarer d. h. zu¬

*) Vayle's dictionnair art. Frençois d'Assise not, C.
M 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0190" n="179"/>
&#x017F;icht, &#x017F;ondern das Gehirn anfeindet &#x2014; weil ihre<lb/>
Liebe jetzt ohne Eifer&#x017F;ucht i&#x017F;t. Na&#x0364;mlich &#x017F;ie &#x017F;tand<lb/>
mit dem Evangeli&#x017F;ten Matthieu in einem gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Liebesver&#x017F;ta&#x0364;ndniß, das &#x017F;ich (nach un&#x017F;erm bu&#x0364;rgerlichen<lb/>
Gefu&#x0364;hl) vom Ha&#x017F;&#x017F;e in nichts unter&#x017F;cheidet als in der<lb/>
&#x2014; Dauer. Liebes Per&#x017F;iflagen waren ihre Liebeser¬<lb/>
kla&#x0364;rungen &#x2014; ihre Blicke waren Epigrammen &#x2014; &#x017F;eine<lb/>
Scha&#x0364;fer&#x017F;tunden &#x017F;alzte er mit komi&#x017F;chen Erza&#x0364;hlungen<lb/>
von &#x017F;einen Scha&#x0364;fer&#x017F;tunden an andern Orten &#x2014; und<lb/>
zur <hi rendition="#g">Zeit</hi>, <hi rendition="#g">wo</hi> ein heiliger Mann &#x017F;einen P&#x017F;alm ab¬<lb/>
zubeten pflegt <note place="foot" n="*)"><lb/>
Vayle's <hi rendition="#aq">dictionnair art</hi>. <hi rendition="#aq">Frençois d</hi>'<hi rendition="#aq">Assise not</hi>, <hi rendition="#aq">C</hi>.</note>, waren beide ironi&#x017F;ch. Eine &#x017F;olche<lb/><hi rendition="#g">eroti&#x017F;che</hi> Verbindung i&#x017F;t nichts als die Unterab¬<lb/>
theilung irgend einer <hi rendition="#g">politi&#x017F;chen</hi> . . . Aber zuru&#x0364;ck<lb/>
zur Ge&#x017F;chichte!</p><lb/>
        <p>Der Kammerherr wollte &#x017F;einem Ga&#x017F;te jetzt etwas<lb/>
zeigen, was einen Doktor und Gelehrten mehr inte¬<lb/>
re&#x017F;&#x017F;irte. Zu dem Zimmer, worin das etwas war,<lb/>
kam man durch der Kammerherrin und durch Klotil¬<lb/>
dens Zimmer. Da man in jener ihrem einen Ra&#x017F;<lb/>
tag hielt: &#x017F;o &#x017F;tanden Viktors Augen tra&#x0364;umend auf<lb/>
Klotildens Silhouette fe&#x017F;t, die Matthieu neulich aus<lb/>
dem Nichts ge&#x017F;chnitten und die die Kammerherrin<lb/>
hier aus Schmeichelei gegen den Schattenrei&#x017F;&#x017F;er un¬<lb/>
ter Glas aufgehangen hatte. Sonderbarer d. h. zu¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">M 2<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0190] ſicht, ſondern das Gehirn anfeindet — weil ihre Liebe jetzt ohne Eiferſucht iſt. Naͤmlich ſie ſtand mit dem Evangeliſten Matthieu in einem gewiſſen Liebesverſtaͤndniß, das ſich (nach unſerm buͤrgerlichen Gefuͤhl) vom Haſſe in nichts unterſcheidet als in der — Dauer. Liebes Perſiflagen waren ihre Liebeser¬ klaͤrungen — ihre Blicke waren Epigrammen — ſeine Schaͤferſtunden ſalzte er mit komiſchen Erzaͤhlungen von ſeinen Schaͤferſtunden an andern Orten — und zur Zeit, wo ein heiliger Mann ſeinen Pſalm ab¬ zubeten pflegt *), waren beide ironiſch. Eine ſolche erotiſche Verbindung iſt nichts als die Unterab¬ theilung irgend einer politiſchen . . . Aber zuruͤck zur Geſchichte! Der Kammerherr wollte ſeinem Gaſte jetzt etwas zeigen, was einen Doktor und Gelehrten mehr inte¬ reſſirte. Zu dem Zimmer, worin das etwas war, kam man durch der Kammerherrin und durch Klotil¬ dens Zimmer. Da man in jener ihrem einen Raſt¬ tag hielt: ſo ſtanden Viktors Augen traͤumend auf Klotildens Silhouette feſt, die Matthieu neulich aus dem Nichts geſchnitten und die die Kammerherrin hier aus Schmeichelei gegen den Schattenreiſſer un¬ ter Glas aufgehangen hatte. Sonderbarer d. h. zu¬ *) Vayle's dictionnair art. Frençois d'Assise not, C. M 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/190
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/190>, abgerufen am 24.11.2024.