der Philosophie, die beide sich wie Kometen und Planeten um dieselbe Sonne (der Wahr¬ heit) bewegen und sich nur in der Figur ihres Umlaufs unterscheiden, da Kometen und Dichter blos die größere Ellypse haben. Seine Erzie¬ hung und Anlage hatte ihn an die dephlogistische Luft der Studierstube gewöhnt, die noch das einzige Dormitorium unserer Leidenschaften und das einzige Profeß-Haus und der Glückshaven der Menschen ist, die dem breiten Strudel der Sinne und Sitten entgehen wollen. Die Wissenschaften sind mehr als die Tugend ihr eigner Lohn und jene machen der Glückseligkeit theilhaftig, diese nur würdig; und die Preismedaillen, Pensionen und positiven Belohnun¬ gen und der Inventionsdank, die viele Gelehrte für ihr Studiren haben wollen, gehören höchstens den litterarischen dienenden Brüdern, die sich dabei ab¬ martern, aber nicht den Meistern vom Stuhle, die sich dabei entzücken. Ein Gelehrter hat keine lange Weile -- ein Thron-Insaß lässet sich gegen diese Nervenschwindsucht hundert Festins verschreiben, Ge¬ sellschaftskavaliere, ganze Länder und Menschenblut.
Du lieber Himmel! ein Leser, der in Viktors Sabbathswochen eine Leiter genommen hätte und an sein Fenster gestiegen wäre: hätte der etwas anders darin erblickt als ein jubilirendes Ding, das auf den wissenschaftlichen Feldern wie unter seeligen Inseln
der Philoſophie, die beide ſich wie Kometen und Planeten um dieſelbe Sonne (der Wahr¬ heit) bewegen und ſich nur in der Figur ihres Umlaufs unterſcheiden, da Kometen und Dichter blos die groͤßere Ellypſe haben. Seine Erzie¬ hung und Anlage hatte ihn an die dephlogiſtiſche Luft der Studierſtube gewoͤhnt, die noch das einzige Dormitorium unſerer Leidenſchaften und das einzige Profeß-Haus und der Gluͤckshaven der Menſchen iſt, die dem breiten Strudel der Sinne und Sitten entgehen wollen. Die Wiſſenſchaften ſind mehr als die Tugend ihr eigner Lohn und jene machen der Gluͤckſeligkeit theilhaftig, dieſe nur wuͤrdig; und die Preismedaillen, Penſionen und poſitiven Belohnun¬ gen und der Inventionsdank, die viele Gelehrte fuͤr ihr Studiren haben wollen, gehoͤren hoͤchſtens den litterariſchen dienenden Bruͤdern, die ſich dabei ab¬ martern, aber nicht den Meiſtern vom Stuhle, die ſich dabei entzuͤcken. Ein Gelehrter hat keine lange Weile — ein Thron-Inſaß laͤſſet ſich gegen dieſe Nervenſchwindſucht hundert Feſtins verſchreiben, Ge¬ ſellſchaftskavaliere, ganze Laͤnder und Menſchenblut.
Du lieber Himmel! ein Leſer, der in Viktors Sabbathswochen eine Leiter genommen haͤtte und an ſein Fenſter geſtiegen waͤre: haͤtte der etwas anders darin erblickt als ein jubilirendes Ding, das auf den wiſſenſchaftlichen Feldern wie unter ſeeligen Inſeln
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0178"n="167"/>
der <hirendition="#g">Philoſophie</hi>, die beide ſich wie <hirendition="#g">Kometen</hi><lb/>
und <hirendition="#g">Planeten</hi> um <hirendition="#g">dieſelbe Sonne</hi> (der Wahr¬<lb/>
heit) bewegen und ſich nur in der <hirendition="#g">Figur</hi> ihres<lb/>
Umlaufs unterſcheiden, da Kometen und Dichter<lb/>
blos die <hirendition="#g">groͤßere Ellypſe</hi> haben. Seine Erzie¬<lb/>
hung und Anlage hatte ihn an die dephlogiſtiſche<lb/>
Luft der Studierſtube gewoͤhnt, die noch das einzige<lb/>
Dormitorium unſerer Leidenſchaften und das einzige<lb/>
Profeß-Haus und der Gluͤckshaven der Menſchen<lb/>
iſt, die dem breiten Strudel der Sinne und Sitten<lb/>
entgehen wollen. Die Wiſſenſchaften ſind mehr als<lb/>
die Tugend ihr eigner Lohn und jene machen der<lb/>
Gluͤckſeligkeit theilhaftig, dieſe nur wuͤrdig; und die<lb/>
Preismedaillen, Penſionen und poſitiven Belohnun¬<lb/>
gen und der Inventionsdank, die viele Gelehrte fuͤr<lb/>
ihr Studiren haben wollen, gehoͤren hoͤchſtens den<lb/>
litterariſchen dienenden Bruͤdern, die ſich dabei ab¬<lb/>
martern, aber nicht den Meiſtern vom Stuhle, die<lb/>ſich dabei entzuͤcken. Ein Gelehrter hat keine lange<lb/>
Weile — ein Thron-Inſaß laͤſſet ſich gegen dieſe<lb/>
Nervenſchwindſucht hundert Feſtins verſchreiben, Ge¬<lb/>ſellſchaftskavaliere, ganze Laͤnder und Menſchenblut.</p><lb/><p>Du lieber Himmel! ein Leſer, der in Viktors<lb/>
Sabbathswochen eine Leiter genommen haͤtte und an<lb/>ſein Fenſter geſtiegen waͤre: haͤtte der etwas anders<lb/>
darin erblickt als ein jubilirendes Ding, das auf den<lb/>
wiſſenſchaftlichen Feldern wie unter ſeeligen Inſeln<lb/></p></div></body></text></TEI>
[167/0178]
der Philoſophie, die beide ſich wie Kometen
und Planeten um dieſelbe Sonne (der Wahr¬
heit) bewegen und ſich nur in der Figur ihres
Umlaufs unterſcheiden, da Kometen und Dichter
blos die groͤßere Ellypſe haben. Seine Erzie¬
hung und Anlage hatte ihn an die dephlogiſtiſche
Luft der Studierſtube gewoͤhnt, die noch das einzige
Dormitorium unſerer Leidenſchaften und das einzige
Profeß-Haus und der Gluͤckshaven der Menſchen
iſt, die dem breiten Strudel der Sinne und Sitten
entgehen wollen. Die Wiſſenſchaften ſind mehr als
die Tugend ihr eigner Lohn und jene machen der
Gluͤckſeligkeit theilhaftig, dieſe nur wuͤrdig; und die
Preismedaillen, Penſionen und poſitiven Belohnun¬
gen und der Inventionsdank, die viele Gelehrte fuͤr
ihr Studiren haben wollen, gehoͤren hoͤchſtens den
litterariſchen dienenden Bruͤdern, die ſich dabei ab¬
martern, aber nicht den Meiſtern vom Stuhle, die
ſich dabei entzuͤcken. Ein Gelehrter hat keine lange
Weile — ein Thron-Inſaß laͤſſet ſich gegen dieſe
Nervenſchwindſucht hundert Feſtins verſchreiben, Ge¬
ſellſchaftskavaliere, ganze Laͤnder und Menſchenblut.
Du lieber Himmel! ein Leſer, der in Viktors
Sabbathswochen eine Leiter genommen haͤtte und an
ſein Fenſter geſtiegen waͤre: haͤtte der etwas anders
darin erblickt als ein jubilirendes Ding, das auf den
wiſſenſchaftlichen Feldern wie unter ſeeligen Inſeln
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/178>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.