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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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ten Herzens: "Emanuel steht nahe am Menschen und
"kennt ihn -- ach den umgaukelten Menschen füh¬
"ren zwei Prospektmalerinnen durch das ganze
"Theater, die Erinerung und die Hofnung --
"in der Gegenwart ist er ängstlich, das Vergnügen
"wird ihm nur in tausend lilliputische Augenblicke
"eingeschenkt wie dem Gulliver, wie soll das berau¬
"schen oder sättigen! -- Wenn wir uns einen ver¬
"gnügten Tag vorstellen: so drängen wir ihn in ei¬
"nen einzigen freudigen Gedanken; kommen wir
"hinan: so wird dieser Gedanke unter den ganzen
"Tag vedünnt." --

"Daran denk ich, versetzte sie, so oft ich durch
"Wiesen gehe: in der Ferne stehen Blumen an
"Blumen -- aber in der Nähe sind sie alle durch
"Gras auseinander gerückt. -- Aber am Ende wird
"doch auch die Erinnerung blos in der Gegen¬
"wart genossen." . . . Viktor dachte blos über die
Blumen nach und sagte vertieft "und zu Nachts
"sehen die Blumen selber wie Gras aus" -- als es
plötzlich zu tropfen anfing.

Sie traten alle feierlich in das Gartenhaus, auf
dessen Dache der Regen aufschlug, indeß in die
ofnen Fenster der auf- und zugedeckte Mond wie
ein Gletscher seine Schneeblitze hineinwarf -- der
laue Blüten-Athem der ganzen leuchtenden Land¬
schaft hauchte jeden menschlichen Seufzer, jeden

ten Herzens: »Emanuel ſteht nahe am Menſchen und
»kennt ihn — ach den umgaukelten Menſchen fuͤh¬
»ren zwei Proſpektmalerinnen durch das ganze
»Theater, die Erinerung und die Hofnung
»in der Gegenwart iſt er aͤngſtlich, das Vergnuͤgen
»wird ihm nur in tauſend lilliputiſche Augenblicke
»eingeſchenkt wie dem Gulliver, wie ſoll das berau¬
»ſchen oder ſaͤttigen! — Wenn wir uns einen ver¬
»gnuͤgten Tag vorſtellen: ſo draͤngen wir ihn in ei¬
»nen einzigen freudigen Gedanken; kommen wir
»hinan: ſo wird dieſer Gedanke unter den ganzen
»Tag veduͤnnt.« —

»Daran denk ich, verſetzte ſie, ſo oft ich durch
»Wieſen gehe: in der Ferne ſtehen Blumen an
»Blumen — aber in der Naͤhe ſind ſie alle durch
»Gras auseinander geruͤckt. — Aber am Ende wird
»doch auch die Erinnerung blos in der Gegen¬
»wart genoſſen.« . . . Viktor dachte blos uͤber die
Blumen nach und ſagte vertieft »und zu Nachts
»ſehen die Blumen ſelber wie Gras aus« — als es
ploͤtzlich zu tropfen anfing.

Sie traten alle feierlich in das Gartenhaus, auf
deſſen Dache der Regen aufſchlug, indeß in die
ofnen Fenſter der auf- und zugedeckte Mond wie
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[151/0162] ten Herzens: »Emanuel ſteht nahe am Menſchen und »kennt ihn — ach den umgaukelten Menſchen fuͤh¬ »ren zwei Proſpektmalerinnen durch das ganze »Theater, die Erinerung und die Hofnung — »in der Gegenwart iſt er aͤngſtlich, das Vergnuͤgen »wird ihm nur in tauſend lilliputiſche Augenblicke »eingeſchenkt wie dem Gulliver, wie ſoll das berau¬ »ſchen oder ſaͤttigen! — Wenn wir uns einen ver¬ »gnuͤgten Tag vorſtellen: ſo draͤngen wir ihn in ei¬ »nen einzigen freudigen Gedanken; kommen wir »hinan: ſo wird dieſer Gedanke unter den ganzen »Tag veduͤnnt.« — »Daran denk ich, verſetzte ſie, ſo oft ich durch »Wieſen gehe: in der Ferne ſtehen Blumen an »Blumen — aber in der Naͤhe ſind ſie alle durch »Gras auseinander geruͤckt. — Aber am Ende wird »doch auch die Erinnerung blos in der Gegen¬ »wart genoſſen.« . . . Viktor dachte blos uͤber die Blumen nach und ſagte vertieft »und zu Nachts »ſehen die Blumen ſelber wie Gras aus« — als es ploͤtzlich zu tropfen anfing. Sie traten alle feierlich in das Gartenhaus, auf deſſen Dache der Regen aufſchlug, indeß in die ofnen Fenſter der auf- und zugedeckte Mond wie ein Gletſcher ſeine Schneeblitze hineinwarf — der laue Bluͤten-Athem der ganzen leuchtenden Land¬ ſchaft hauchte jeden menſchlichen Seufzer, jeden

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/162>, abgerufen am 23.11.2024.