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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

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fühlte trotz ihrem Stolze gegen sie einen mächtigen
Zug zur Aufrichtigkeit. Er fühlte sie allein dem
Pomeranzenbaume zu und gab ihr dort -- indem er
ihr durch seine offenherzige Leichtigkeit die beschwer¬
liche Verbindlichkeit für ein Geheimniß ersparte --
das Blatt zurück. Sie erstaunte, sagte aber so¬
gleich: ihr Erstaunen gehe blos ihre eigne Nachläs¬
sigkeit an -- d. h. sie glaubte ihm, hatt' aber ir¬
gend einen Verdacht gegen ihre Schloßgenossen und
gegen die Art, wie es in die Laube kam. Sie
machte sich die Orangerie zu Nutze und drängte ihr
beseeltes Angesicht in die Pomeranzenblüten. Viktor
konnte unmöglich so dumm allein dort stehen -- er,
noch ein wenig betroffen über das Erstaunen und am
Ende über einen fast zu großen Stolz, wurde auch
lüstern nach dem Pomeranzenweihrauch und hielt ihr
darin sein Gesicht entgegen. Er hätte aber wissen
sollen, daß einer, der an etwas riecht, nicht auf das
etwas blicke, sondern gerade aus. Er war also kaum
mit seinen Geruchsnerven in den Blüten: so schlug
er seine Augen auf und Klotildens große standen
ihm offen entgegen; sie waren gerade in der wirk¬
samsten und höchsten Elevation von 45°, man mag
nun Augen oder Bogenschüsse meinen. Er drehte
seine Augäpfel gewaltsam auf die Blätter nieder, sie
trat noch klüger von der betäubenden Orangerie
zurück.

fuͤhlte trotz ihrem Stolze gegen ſie einen maͤchtigen
Zug zur Aufrichtigkeit. Er fuͤhlte ſie allein dem
Pomeranzenbaume zu und gab ihr dort — indem er
ihr durch ſeine offenherzige Leichtigkeit die beſchwer¬
liche Verbindlichkeit fuͤr ein Geheimniß erſparte —
das Blatt zuruͤck. Sie erſtaunte, ſagte aber ſo¬
gleich: ihr Erſtaunen gehe blos ihre eigne Nachlaͤſ¬
ſigkeit an — d. h. ſie glaubte ihm, hatt' aber ir¬
gend einen Verdacht gegen ihre Schloßgenoſſen und
gegen die Art, wie es in die Laube kam. Sie
machte ſich die Orangerie zu Nutze und draͤngte ihr
beſeeltes Angeſicht in die Pomeranzenbluͤten. Viktor
konnte unmoͤglich ſo dumm allein dort ſtehen — er,
noch ein wenig betroffen uͤber das Erſtaunen und am
Ende uͤber einen faſt zu großen Stolz, wurde auch
luͤſtern nach dem Pomeranzenweihrauch und hielt ihr
darin ſein Geſicht entgegen. Er haͤtte aber wiſſen
ſollen, daß einer, der an etwas riecht, nicht auf das
etwas blicke, ſondern gerade aus. Er war alſo kaum
mit ſeinen Geruchsnerven in den Bluͤten: ſo ſchlug
er ſeine Augen auf und Klotildens große ſtanden
ihm offen entgegen; ſie waren gerade in der wirk¬
ſamſten und hoͤchſten Elevation von 45°, man mag
nun Augen oder Bogenſchuͤſſe meinen. Er drehte
ſeine Augaͤpfel gewaltſam auf die Blaͤtter nieder, ſie
trat noch kluͤger von der betaͤubenden Orangerie
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[137/0148] fuͤhlte trotz ihrem Stolze gegen ſie einen maͤchtigen Zug zur Aufrichtigkeit. Er fuͤhlte ſie allein dem Pomeranzenbaume zu und gab ihr dort — indem er ihr durch ſeine offenherzige Leichtigkeit die beſchwer¬ liche Verbindlichkeit fuͤr ein Geheimniß erſparte — das Blatt zuruͤck. Sie erſtaunte, ſagte aber ſo¬ gleich: ihr Erſtaunen gehe blos ihre eigne Nachlaͤſ¬ ſigkeit an — d. h. ſie glaubte ihm, hatt' aber ir¬ gend einen Verdacht gegen ihre Schloßgenoſſen und gegen die Art, wie es in die Laube kam. Sie machte ſich die Orangerie zu Nutze und draͤngte ihr beſeeltes Angeſicht in die Pomeranzenbluͤten. Viktor konnte unmoͤglich ſo dumm allein dort ſtehen — er, noch ein wenig betroffen uͤber das Erſtaunen und am Ende uͤber einen faſt zu großen Stolz, wurde auch luͤſtern nach dem Pomeranzenweihrauch und hielt ihr darin ſein Geſicht entgegen. Er haͤtte aber wiſſen ſollen, daß einer, der an etwas riecht, nicht auf das etwas blicke, ſondern gerade aus. Er war alſo kaum mit ſeinen Geruchsnerven in den Bluͤten: ſo ſchlug er ſeine Augen auf und Klotildens große ſtanden ihm offen entgegen; ſie waren gerade in der wirk¬ ſamſten und hoͤchſten Elevation von 45°, man mag nun Augen oder Bogenſchuͤſſe meinen. Er drehte ſeine Augaͤpfel gewaltſam auf die Blaͤtter nieder, ſie trat noch kluͤger von der betaͤubenden Orangerie zuruͤck.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/148>, abgerufen am 24.11.2024.