Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

entfernten Pseudo-Evangelisten zu stoßen. Im Gar¬
ten sties er darein. Er nahm die Hand, deren die
Matthäische nicht würdig war, in seine bessere und
fing mit der herzlichsten feinsten Schonung, die man
sogar der wahren Freundschaft für einen unächten
Freund gewähren muß, seinen Bildersturm an. Denn
indem er die Kammerherrin tadelte, daß sie auf
Agathen Blicke von ihrem Wipfel herunter würfe,
die nichts reiners wären als was hie Affen vom ih¬
rigen auf die Leute schickten; indem er den Hofjun¬
ker tadelte, daß er wie viele Edelleute erst unter
Edelleuten den kezerischen Geruch eines Roturiers
am meisten (vielleicht durch Hülfe des Kontrastes)
verspürte, und daß seine Worte und Minen im
Schlosse wie Eisspitzen ans gute warme Herz Aga¬
thens anflögen: so war der Tadel dieses Maifrostes
gegen die Schwester nur ein Vorwand, in den er die
Anmerkung einhüllte, daß der Hofjunker Flamins
Freund nicht seyn würde, wenn er nicht Agathens
Liebhaber wäre. --

Flamins Schweigen (das Zeichen seiner Entrü
stung) gab dem Strom seiner Beredsamkeit einen
neuen schnellern Abhang; noch dazu rief eine im Le
Bauts Garten phantasirende Nachtigal alle Echo der
Liebe aus seiner Seele wach. Daher ergrif er frey¬
lich Flamins beyde Hände in jener Ueberwallung, die
immer seine Schritte zum Ziele in Sprünge umsetzte
und dadurch das ganze Ziel überrennte -- Viele

entfernten Pſeudo-Evangeliſten zu ſtoßen. Im Gar¬
ten ſties er darein. Er nahm die Hand, deren die
Matthaͤiſche nicht wuͤrdig war, in ſeine beſſere und
fing mit der herzlichſten feinſten Schonung, die man
ſogar der wahren Freundſchaft fuͤr einen unaͤchten
Freund gewaͤhren muß, ſeinen Bilderſturm an. Denn
indem er die Kammerherrin tadelte, daß ſie auf
Agathen Blicke von ihrem Wipfel herunter wuͤrfe,
die nichts reiners waͤren als was hie Affen vom ih¬
rigen auf die Leute ſchickten; indem er den Hofjun¬
ker tadelte, daß er wie viele Edelleute erſt unter
Edelleuten den kezeriſchen Geruch eines Roturiers
am meiſten (vielleicht durch Huͤlfe des Kontraſtes)
verſpuͤrte, und daß ſeine Worte und Minen im
Schloſſe wie Eisſpitzen ans gute warme Herz Aga¬
thens anfloͤgen: ſo war der Tadel dieſes Maifroſtes
gegen die Schweſter nur ein Vorwand, in den er die
Anmerkung einhuͤllte, daß der Hofjunker Flamins
Freund nicht ſeyn wuͤrde, wenn er nicht Agathens
Liebhaber waͤre. —

Flamins Schweigen (das Zeichen ſeiner Entruͤ
ſtung) gab dem Strom ſeiner Beredſamkeit einen
neuen ſchnellern Abhang; noch dazu rief eine im Le
Bauts Garten phantaſirende Nachtigal alle Echo der
Liebe aus ſeiner Seele wach. Daher ergrif er frey¬
lich Flamins beyde Haͤnde in jener Ueberwallung, die
immer ſeine Schritte zum Ziele in Spruͤnge umſetzte
und dadurch das ganze Ziel uͤberrennte — Viele

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0119" n="108"/>
entfernten P&#x017F;eudo-Evangeli&#x017F;ten zu &#x017F;toßen. Im Gar¬<lb/>
ten &#x017F;ties er darein. Er nahm die Hand, deren die<lb/>
Mattha&#x0364;i&#x017F;che nicht wu&#x0364;rdig war, in &#x017F;eine be&#x017F;&#x017F;ere und<lb/>
fing mit der herzlich&#x017F;ten fein&#x017F;ten Schonung, die man<lb/>
&#x017F;ogar der wahren Freund&#x017F;chaft fu&#x0364;r einen una&#x0364;chten<lb/>
Freund gewa&#x0364;hren muß, &#x017F;einen Bilder&#x017F;turm an. Denn<lb/>
indem er die Kammerherrin tadelte, daß &#x017F;ie auf<lb/>
Agathen Blicke von ihrem Wipfel herunter wu&#x0364;rfe,<lb/>
die nichts reiners wa&#x0364;ren als was hie Affen vom ih¬<lb/>
rigen auf die Leute &#x017F;chickten; indem er den Hofjun¬<lb/>
ker tadelte, daß er wie viele Edelleute er&#x017F;t unter<lb/>
Edelleuten den kezeri&#x017F;chen Geruch eines Roturiers<lb/>
am mei&#x017F;ten (vielleicht durch Hu&#x0364;lfe des Kontra&#x017F;tes)<lb/>
ver&#x017F;pu&#x0364;rte, und daß &#x017F;eine Worte und Minen im<lb/>
Schlo&#x017F;&#x017F;e wie Eis&#x017F;pitzen ans gute warme Herz Aga¬<lb/>
thens anflo&#x0364;gen: &#x017F;o war der Tadel die&#x017F;es Maifro&#x017F;tes<lb/>
gegen die Schwe&#x017F;ter nur ein Vorwand, in den er die<lb/>
Anmerkung einhu&#x0364;llte, daß der Hofjunker Flamins<lb/>
Freund nicht &#x017F;eyn wu&#x0364;rde, wenn er nicht Agathens<lb/>
Liebhaber wa&#x0364;re. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Flamins Schweigen (das Zeichen &#x017F;einer Entru&#x0364;<lb/>
&#x017F;tung) gab dem Strom &#x017F;einer Bered&#x017F;amkeit einen<lb/>
neuen &#x017F;chnellern Abhang; noch dazu rief eine im Le<lb/>
Bauts Garten phanta&#x017F;irende Nachtigal alle Echo der<lb/>
Liebe aus &#x017F;einer Seele wach. Daher ergrif er frey¬<lb/>
lich Flamins beyde Ha&#x0364;nde in jener Ueberwallung, die<lb/>
immer &#x017F;eine Schritte zum Ziele in Spru&#x0364;nge um&#x017F;etzte<lb/>
und dadurch das ganze Ziel u&#x0364;berrennte &#x2014; Viele<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[108/0119] entfernten Pſeudo-Evangeliſten zu ſtoßen. Im Gar¬ ten ſties er darein. Er nahm die Hand, deren die Matthaͤiſche nicht wuͤrdig war, in ſeine beſſere und fing mit der herzlichſten feinſten Schonung, die man ſogar der wahren Freundſchaft fuͤr einen unaͤchten Freund gewaͤhren muß, ſeinen Bilderſturm an. Denn indem er die Kammerherrin tadelte, daß ſie auf Agathen Blicke von ihrem Wipfel herunter wuͤrfe, die nichts reiners waͤren als was hie Affen vom ih¬ rigen auf die Leute ſchickten; indem er den Hofjun¬ ker tadelte, daß er wie viele Edelleute erſt unter Edelleuten den kezeriſchen Geruch eines Roturiers am meiſten (vielleicht durch Huͤlfe des Kontraſtes) verſpuͤrte, und daß ſeine Worte und Minen im Schloſſe wie Eisſpitzen ans gute warme Herz Aga¬ thens anfloͤgen: ſo war der Tadel dieſes Maifroſtes gegen die Schweſter nur ein Vorwand, in den er die Anmerkung einhuͤllte, daß der Hofjunker Flamins Freund nicht ſeyn wuͤrde, wenn er nicht Agathens Liebhaber waͤre. — Flamins Schweigen (das Zeichen ſeiner Entruͤ ſtung) gab dem Strom ſeiner Beredſamkeit einen neuen ſchnellern Abhang; noch dazu rief eine im Le Bauts Garten phantaſirende Nachtigal alle Echo der Liebe aus ſeiner Seele wach. Daher ergrif er frey¬ lich Flamins beyde Haͤnde in jener Ueberwallung, die immer ſeine Schritte zum Ziele in Spruͤnge umſetzte und dadurch das ganze Ziel uͤberrennte — Viele

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/119
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/119>, abgerufen am 04.12.2024.