Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

"nuel ist 'was! . . . Nein, unter diesem Leben im
"Flug, sollte doch das Ding, das so prestissimo
"hinschießt aus einem Regenschauer in den andern
"und von Gewölke zu Gewölke, doch nicht in Ei¬
"nem fort den Schnabel aufsperren zum Gelächter . . .
"Ich las heute 'wo, "der Mensch hat nur drithalbe
"Minuten, und nur eine Lächeln."" . . Er war
ganz in seine Gefühle verirrt: sonst hätt' er mehr
zurück behalten, besonders die letzte Zeile aus dem
im Garten gefundnen Blättgen. Klotilde wurde über
irgend etwas betroffen. Er hätte jetzt gern das
Blättgen hinausgelesen. Sie erzählte ihm nun die¬
jenigen Sonderbarkeiten von ihrem Lehrer, in die
sie sich besser zu finden wuste: daß er ein Pythago¬
räer sey -- nur in weissen Kleidern gehe -- mit
Flöten sich einschläfern und wecken lasse -- keine
Hülsenfrüchte und Thiere esse -- und oft die halbe
Nacht unter den Sternen gehe.

Er ruhte, in stummes Entzücken über den Leh¬
rer verlohren, mit enthusiastischen Augen auf den
freundschaftlichen Lippen der Schülerin, die der Ge¬
schmack an einem erhabnen Sonderling adelte. Sie
fand hier den ersten Mann, den sie in einen unge¬
heuchelten Enthusiasmus für ihren pythagoräischen
Liebling setzte und alle ihre Schönheiten wendeten
sich blühender nach Emanuels Bild wie Blumen
nach der Sonne. Zwey schöne Seelen entdecken

G 2

»nuel iſt 'was! . . . Nein, unter dieſem Leben im
»Flug, ſollte doch das Ding, das ſo prestissimo
»hinſchießt aus einem Regenſchauer in den andern
»und von Gewoͤlke zu Gewoͤlke, doch nicht in Ei¬
»nem fort den Schnabel aufſperren zum Gelaͤchter . . .
»Ich las heute 'wo, »der Menſch hat nur drithalbe
»Minuten, und nur eine Laͤcheln.»» . . Er war
ganz in ſeine Gefuͤhle verirrt: ſonſt haͤtt' er mehr
zuruͤck behalten, beſonders die letzte Zeile aus dem
im Garten gefundnen Blaͤttgen. Klotilde wurde uͤber
irgend etwas betroffen. Er haͤtte jetzt gern das
Blaͤttgen hinausgeleſen. Sie erzaͤhlte ihm nun die¬
jenigen Sonderbarkeiten von ihrem Lehrer, in die
ſie ſich beſſer zu finden wuſte: daß er ein Pythago¬
raͤer ſey — nur in weiſſen Kleidern gehe — mit
Floͤten ſich einſchlaͤfern und wecken laſſe — keine
Huͤlſenfruͤchte und Thiere eſſe — und oft die halbe
Nacht unter den Sternen gehe.

Er ruhte, in ſtummes Entzuͤcken uͤber den Leh¬
rer verlohren, mit enthuſiaſtiſchen Augen auf den
freundſchaftlichen Lippen der Schuͤlerin, die der Ge¬
ſchmack an einem erhabnen Sonderling adelte. Sie
fand hier den erſten Mann, den ſie in einen unge¬
heuchelten Enthuſiasmus fuͤr ihren pythagoraͤiſchen
Liebling ſetzte und alle ihre Schoͤnheiten wendeten
ſich bluͤhender nach Emanuels Bild wie Blumen
nach der Sonne. Zwey ſchoͤne Seelen entdecken

G 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0110" n="99"/>
»nuel i&#x017F;t 'was! . . . Nein, unter die&#x017F;em Leben im<lb/>
»Flug, &#x017F;ollte doch das Ding, das &#x017F;o <hi rendition="#aq">prestissimo</hi><lb/>
»hin&#x017F;chießt aus einem Regen&#x017F;chauer in den andern<lb/>
»und von Gewo&#x0364;lke zu Gewo&#x0364;lke, doch nicht in Ei¬<lb/>
»nem fort den Schnabel auf&#x017F;perren zum Gela&#x0364;chter . . .<lb/>
»Ich las heute 'wo, »der Men&#x017F;ch hat nur drithalbe<lb/>
»Minuten, und nur eine La&#x0364;cheln.»» . . Er war<lb/>
ganz in &#x017F;eine Gefu&#x0364;hle verirrt: &#x017F;on&#x017F;t ha&#x0364;tt' er mehr<lb/>
zuru&#x0364;ck behalten, be&#x017F;onders die letzte Zeile aus dem<lb/>
im Garten gefundnen Bla&#x0364;ttgen. Klotilde wurde u&#x0364;ber<lb/>
irgend etwas betroffen. Er ha&#x0364;tte jetzt gern das<lb/>
Bla&#x0364;ttgen hinausgele&#x017F;en. Sie erza&#x0364;hlte ihm nun die¬<lb/>
jenigen Sonderbarkeiten von ihrem Lehrer, in die<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ich be&#x017F;&#x017F;er zu finden wu&#x017F;te: daß er ein Pythago¬<lb/>
ra&#x0364;er &#x017F;ey &#x2014; nur in wei&#x017F;&#x017F;en Kleidern gehe &#x2014; mit<lb/>
Flo&#x0364;ten &#x017F;ich ein&#x017F;chla&#x0364;fern und wecken la&#x017F;&#x017F;e &#x2014; keine<lb/>
Hu&#x0364;l&#x017F;enfru&#x0364;chte und Thiere e&#x017F;&#x017F;e &#x2014; und oft die halbe<lb/>
Nacht unter den Sternen gehe.</p><lb/>
        <p>Er ruhte, in &#x017F;tummes Entzu&#x0364;cken u&#x0364;ber den Leh¬<lb/>
rer verlohren, mit enthu&#x017F;ia&#x017F;ti&#x017F;chen Augen auf den<lb/>
freund&#x017F;chaftlichen Lippen der Schu&#x0364;lerin, die der Ge¬<lb/>
&#x017F;chmack an einem erhabnen Sonderling adelte. Sie<lb/>
fand hier den er&#x017F;ten Mann, den &#x017F;ie in einen unge¬<lb/>
heuchelten Enthu&#x017F;iasmus fu&#x0364;r ihren pythagora&#x0364;i&#x017F;chen<lb/>
Liebling &#x017F;etzte und alle ihre Scho&#x0364;nheiten wendeten<lb/>
&#x017F;ich blu&#x0364;hender nach Emanuels Bild wie Blumen<lb/>
nach der Sonne. Zwey &#x017F;cho&#x0364;ne Seelen entdecken<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G 2<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0110] »nuel iſt 'was! . . . Nein, unter dieſem Leben im »Flug, ſollte doch das Ding, das ſo prestissimo »hinſchießt aus einem Regenſchauer in den andern »und von Gewoͤlke zu Gewoͤlke, doch nicht in Ei¬ »nem fort den Schnabel aufſperren zum Gelaͤchter . . . »Ich las heute 'wo, »der Menſch hat nur drithalbe »Minuten, und nur eine Laͤcheln.»» . . Er war ganz in ſeine Gefuͤhle verirrt: ſonſt haͤtt' er mehr zuruͤck behalten, beſonders die letzte Zeile aus dem im Garten gefundnen Blaͤttgen. Klotilde wurde uͤber irgend etwas betroffen. Er haͤtte jetzt gern das Blaͤttgen hinausgeleſen. Sie erzaͤhlte ihm nun die¬ jenigen Sonderbarkeiten von ihrem Lehrer, in die ſie ſich beſſer zu finden wuſte: daß er ein Pythago¬ raͤer ſey — nur in weiſſen Kleidern gehe — mit Floͤten ſich einſchlaͤfern und wecken laſſe — keine Huͤlſenfruͤchte und Thiere eſſe — und oft die halbe Nacht unter den Sternen gehe. Er ruhte, in ſtummes Entzuͤcken uͤber den Leh¬ rer verlohren, mit enthuſiaſtiſchen Augen auf den freundſchaftlichen Lippen der Schuͤlerin, die der Ge¬ ſchmack an einem erhabnen Sonderling adelte. Sie fand hier den erſten Mann, den ſie in einen unge¬ heuchelten Enthuſiasmus fuͤr ihren pythagoraͤiſchen Liebling ſetzte und alle ihre Schoͤnheiten wendeten ſich bluͤhender nach Emanuels Bild wie Blumen nach der Sonne. Zwey ſchoͤne Seelen entdecken G 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/110
Zitationshilfe: Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/110>, abgerufen am 04.12.2024.