besser als er errathen wurde. Blos Klotilde verdient eine Schutzrede, daß sie meinen Helden bis nach dem Essen -- unter welchem Le Baut, der gröste Erzähler und Novellist dieses erzählenden Säkuls, seine Rolle durchführte -- für zu boshaft und saty¬ risch hielt. Sie muste aber fast: -- eine Frau erräth leicht die menschliche, aber schwer die göttliche (oder teuflische) Natur eines Mannes, schwer seinen gei¬ stigen Kubikinhalt und leicht seine Absichten, leich¬ ter sein inneres Kolorit als seine Zeichnung -- Mat¬ thieu gab Anlaß zu ihrem Irthum, aber auch (wie ich sogleich berichten werde) zur Zurücknahme dessel¬ ben. Dieser Evangelist, der ein viel grösserer Sa¬ tyrikus war als sein Namensvetter im R. T., stell¬ te fast ganz Flachsenfingen auf seine Privat-Pillory, den Fürsten, den Hof bis zu Zeufeln nieder -- nur den Minister (seinen Vater) und seine vielen Schwe¬ stern must' er leider auslassen, desgleichen die Per¬ sonen, mit denen er gerade sprach. Was man Ver¬ läumdung an ihm nannte, war im Grunde übertrieb¬ ne Hernhuterey. Denn da der heilige Makarius befiehlt, daß man sich aus Demuth zwanzig Unzen Böses beilegen müsse, wenn man dessen fünf habe -- das Gute aber umgekehrt -- so suchen redliche Ku¬ rialseelen, weil sie sehen, daß keiner diese bescheidne Sprache führen will, in jedes Namen sie zu reden; und schreiben dem, dessen Demuth sie repräsentiren
beſſer als er errathen wurde. Blos Klotilde verdient eine Schutzrede, daß ſie meinen Helden bis nach dem Eſſen — unter welchem Le Baut, der groͤſte Erzaͤhler und Novelliſt dieſes erzaͤhlenden Saͤkuls, ſeine Rolle durchfuͤhrte — fuͤr zu boshaft und ſaty¬ riſch hielt. Sie muſte aber faſt: — eine Frau erraͤth leicht die menſchliche, aber ſchwer die goͤttliche (oder teufliſche) Natur eines Mannes, ſchwer ſeinen gei¬ ſtigen Kubikinhalt und leicht ſeine Abſichten, leich¬ ter ſein inneres Kolorit als ſeine Zeichnung — Mat¬ thieu gab Anlaß zu ihrem Irthum, aber auch (wie ich ſogleich berichten werde) zur Zuruͤcknahme deſſel¬ ben. Dieſer Evangeliſt, der ein viel groͤſſerer Sa¬ tyrikus war als ſein Namensvetter im R. T., ſtell¬ te faſt ganz Flachſenfingen auf ſeine Privat-Pillory, den Fuͤrſten, den Hof bis zu Zeufeln nieder — nur den Miniſter (ſeinen Vater) und ſeine vielen Schwe¬ ſtern muſt' er leider auslaſſen, desgleichen die Per¬ ſonen, mit denen er gerade ſprach. Was man Ver¬ laͤumdung an ihm nannte, war im Grunde uͤbertrieb¬ ne Hernhuterey. Denn da der heilige Makarius befiehlt, daß man ſich aus Demuth zwanzig Unzen Boͤſes beilegen muͤſſe, wenn man deſſen fuͤnf habe — das Gute aber umgekehrt — ſo ſuchen redliche Ku¬ rialſeelen, weil ſie ſehen, daß keiner dieſe beſcheidne Sprache fuͤhren will, in jedes Namen ſie zu reden; und ſchreiben dem, deſſen Demuth ſie repraͤſentiren
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[9[91]/0102]
beſſer als er errathen wurde. Blos Klotilde verdient
eine Schutzrede, daß ſie meinen Helden bis nach
dem Eſſen — unter welchem Le Baut, der groͤſte
Erzaͤhler und Novelliſt dieſes erzaͤhlenden Saͤkuls,
ſeine Rolle durchfuͤhrte — fuͤr zu boshaft und ſaty¬
riſch hielt. Sie muſte aber faſt: — eine Frau erraͤth
leicht die menſchliche, aber ſchwer die goͤttliche (oder
teufliſche) Natur eines Mannes, ſchwer ſeinen gei¬
ſtigen Kubikinhalt und leicht ſeine Abſichten, leich¬
ter ſein inneres Kolorit als ſeine Zeichnung — Mat¬
thieu gab Anlaß zu ihrem Irthum, aber auch (wie
ich ſogleich berichten werde) zur Zuruͤcknahme deſſel¬
ben. Dieſer Evangeliſt, der ein viel groͤſſerer Sa¬
tyrikus war als ſein Namensvetter im R. T., ſtell¬
te faſt ganz Flachſenfingen auf ſeine Privat-Pillory,
den Fuͤrſten, den Hof bis zu Zeufeln nieder — nur
den Miniſter (ſeinen Vater) und ſeine vielen Schwe¬
ſtern muſt' er leider auslaſſen, desgleichen die Per¬
ſonen, mit denen er gerade ſprach. Was man Ver¬
laͤumdung an ihm nannte, war im Grunde uͤbertrieb¬
ne Hernhuterey. Denn da der heilige Makarius
befiehlt, daß man ſich aus Demuth zwanzig Unzen
Boͤſes beilegen muͤſſe, wenn man deſſen fuͤnf habe —
das Gute aber umgekehrt — ſo ſuchen redliche Ku¬
rialſeelen, weil ſie ſehen, daß keiner dieſe beſcheidne
Sprache fuͤhren will, in jedes Namen ſie zu reden;
und ſchreiben dem, deſſen Demuth ſie repraͤſentiren
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Jean Paul: Hesperus, oder 45 Hundsposttage. Erstes Heftlein. Berlin, 1795, S. 9[91]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_hesperus01_1795/102>, abgerufen am 04.12.2024.
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