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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

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er, so tanz' ich selig mit Ihr, oder führe Sie,
und frage wahrlich nichts darnach, wie alles aus¬
sieht." Wie sanft hätte es ihn berührt und ge¬
wärmt, wenn er seinen Zwillingsbruder an und
in sein Herz und Geheimniß hätte ziehen können!
Nur wars zu unmöglich. Die Schmerzen hat¬
ten in diesen harten Edelstein Wina's Namen
und Nein sehr tief geschnitten -- dieß ertrug er
nicht, sondern er wollte den Juwel selber abnutzen
und abscheuern, damit nichts mehr daran zu le¬
sen wäre; nicht vor Liebe, sondern vor Ehrliebe,
nicht vor Sehnsucht, sondern vor Rachsucht,
hätte er sterben oder tödten können. In diesem
Zustand war es jedem, der kein Notarius war,
schwer, mit ihm auszukommen. Vor allen Din¬
gen mißfiel ihm die Nähe und die Ferne, er ver¬
fluchte Quartier und Stadt, jenes fein, diese ge¬
radezu, indem er sie eine Chaluppe zu Brands
Narrenschiff -- eine Loge zum hohen Licht voll
ausgelöschter, stinkender Studierlampen -- ein
Gebeinhaus von Geköpften ohne Schädelstätte --
eine Thierresidenz mit Viehmarkt und Thiergär¬
ten, feinen Käferkabinetten, und einigen Mäuse¬

er, ſo tanz' ich ſelig mit Ihr, oder fuͤhre Sie,
und frage wahrlich nichts darnach, wie alles aus¬
ſieht.“ Wie ſanft haͤtte es ihn beruͤhrt und ge¬
waͤrmt, wenn er ſeinen Zwillingsbruder an und
in ſein Herz und Geheimniß haͤtte ziehen koͤnnen!
Nur wars zu unmoͤglich. Die Schmerzen hat¬
ten in dieſen harten Edelſtein Wina's Namen
und Nein ſehr tief geſchnitten — dieß ertrug er
nicht, ſondern er wollte den Juwel ſelber abnutzen
und abſcheuern, damit nichts mehr daran zu le¬
ſen waͤre; nicht vor Liebe, ſondern vor Ehrliebe,
nicht vor Sehnſucht, ſondern vor Rachſucht,
haͤtte er ſterben oder toͤdten koͤnnen. In dieſem
Zuſtand war es jedem, der kein Notarius war,
ſchwer, mit ihm auszukommen. Vor allen Din¬
gen mißfiel ihm die Naͤhe und die Ferne, er ver¬
fluchte Quartier und Stadt, jenes fein, dieſe ge¬
radezu, indem er ſie eine Chaluppe zu Brands
Narrenſchiff — eine Loge zum hohen Licht voll
ausgeloͤſchter, ſtinkender Studierlampen — ein
Gebeinhaus von Gekoͤpften ohne Schaͤdelſtaͤtte —
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[261/0267] er, ſo tanz' ich ſelig mit Ihr, oder fuͤhre Sie, und frage wahrlich nichts darnach, wie alles aus¬ ſieht.“ Wie ſanft haͤtte es ihn beruͤhrt und ge¬ waͤrmt, wenn er ſeinen Zwillingsbruder an und in ſein Herz und Geheimniß haͤtte ziehen koͤnnen! Nur wars zu unmoͤglich. Die Schmerzen hat¬ ten in dieſen harten Edelſtein Wina's Namen und Nein ſehr tief geſchnitten — dieß ertrug er nicht, ſondern er wollte den Juwel ſelber abnutzen und abſcheuern, damit nichts mehr daran zu le¬ ſen waͤre; nicht vor Liebe, ſondern vor Ehrliebe, nicht vor Sehnſucht, ſondern vor Rachſucht, haͤtte er ſterben oder toͤdten koͤnnen. In dieſem Zuſtand war es jedem, der kein Notarius war, ſchwer, mit ihm auszukommen. Vor allen Din¬ gen mißfiel ihm die Naͤhe und die Ferne, er ver¬ fluchte Quartier und Stadt, jenes fein, dieſe ge¬ radezu, indem er ſie eine Chaluppe zu Brands Narrenſchiff — eine Loge zum hohen Licht voll ausgeloͤſchter, ſtinkender Studierlampen — ein Gebeinhaus von Gekoͤpften ohne Schaͤdelſtaͤtte — eine Thierreſidenz mit Viehmarkt und Thiergaͤr¬ ten, feinen Kaͤferkabinetten, und einigen Maͤuſe¬

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/267>, abgerufen am 22.11.2024.