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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

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setzte sich an den Stickrahmen. Konnte sie nicht
hundert Deckmäntel ihrer Absicht, im Schreibzim¬
mer zu seyn, als ein Mädchen finden und umle¬
gen? Hätte sie nicht z. B. ihr blaues Kleid aus
dem Wandschrank holen können -- oder das
weiße -- oder den Schleier -- oder einmal ein¬
tunken wollen -- oder an der elektrischen Lampe
ein Licht zum Siegeln anzünden -- oder hier den
Vater ganz vergeblich suchen? -- So aber trat
sie herein, und setzte sich vor den Stickrahmen,
um für eine Stiftsdame einen Ordensstern aufge¬
hen zu lassen, der für den abschreibenden Stern¬
seher, wie oft für Trägerinnen, nichts werden
konnte als ein Irr- und Nebelstern.

Der Schreiber schwamm nun in der Wonne
einer himmlischen Gegenwart, wie in unsichtba¬
rem Duft einer hauchenden Rose, Wina's Da¬
seyn war eine sanfte Musik um ihn. Er sah zu¬
letzt sehnsüchtig kühn ihre gesenkten großen Augen¬
lieder und den ernst geschloßnen Mund im Spie¬
gel zu seiner Linken an, versichert der eignen Un¬
sichtbarkeit, und erfreuet, daß gerade zufällig,
wenn er eben in den Spiegel sah, immer ein

ſetzte ſich an den Stickrahmen. Konnte ſie nicht
hundert Deckmaͤntel ihrer Abſicht, im Schreibzim¬
mer zu ſeyn, als ein Maͤdchen finden und umle¬
gen? Haͤtte ſie nicht z. B. ihr blaues Kleid aus
dem Wandſchrank holen koͤnnen — oder das
weiße — oder den Schleier — oder einmal ein¬
tunken wollen — oder an der elektriſchen Lampe
ein Licht zum Siegeln anzuͤnden — oder hier den
Vater ganz vergeblich ſuchen? — So aber trat
ſie herein, und ſetzte ſich vor den Stickrahmen,
um fuͤr eine Stiftsdame einen Ordensſtern aufge¬
hen zu laſſen, der fuͤr den abſchreibenden Stern¬
ſeher, wie oft fuͤr Traͤgerinnen, nichts werden
konnte als ein Irr- und Nebelſtern.

Der Schreiber ſchwamm nun in der Wonne
einer himmliſchen Gegenwart, wie in unſichtba¬
rem Duft einer hauchenden Roſe, Wina's Da¬
ſeyn war eine ſanfte Muſik um ihn. Er ſah zu¬
letzt ſehnſuͤchtig kuͤhn ihre geſenkten großen Augen¬
lieder und den ernſt geſchloßnen Mund im Spie¬
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[205/0211] ſetzte ſich an den Stickrahmen. Konnte ſie nicht hundert Deckmaͤntel ihrer Abſicht, im Schreibzim¬ mer zu ſeyn, als ein Maͤdchen finden und umle¬ gen? Haͤtte ſie nicht z. B. ihr blaues Kleid aus dem Wandſchrank holen koͤnnen — oder das weiße — oder den Schleier — oder einmal ein¬ tunken wollen — oder an der elektriſchen Lampe ein Licht zum Siegeln anzuͤnden — oder hier den Vater ganz vergeblich ſuchen? — So aber trat ſie herein, und ſetzte ſich vor den Stickrahmen, um fuͤr eine Stiftsdame einen Ordensſtern aufge¬ hen zu laſſen, der fuͤr den abſchreibenden Stern¬ ſeher, wie oft fuͤr Traͤgerinnen, nichts werden konnte als ein Irr- und Nebelſtern. Der Schreiber ſchwamm nun in der Wonne einer himmliſchen Gegenwart, wie in unſichtba¬ rem Duft einer hauchenden Roſe, Wina's Da¬ ſeyn war eine ſanfte Muſik um ihn. Er ſah zu¬ letzt ſehnſuͤchtig kuͤhn ihre geſenkten großen Augen¬ lieder und den ernſt geſchloßnen Mund im Spie¬ gel zu ſeiner Linken an, verſichert der eignen Un¬ ſichtbarkeit, und erfreuet, daß gerade zufaͤllig, wenn er eben in den Spiegel ſah, immer ein

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/211>, abgerufen am 27.11.2024.