Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

chen zu hören, jener findet keinen Zweig, dieses
kein Blatt; aber eine gewaltige Welt liegt unter
dir, und der unendliche Himmel mit allen übrigen
Welten umfängt dich rings. -- Willt du jetzt wei¬
ter gehen in unserer Kindheit, oder lieber mor¬
gen?"

"Jetzt, besonders jetzt. Der Kindheit werf'
ich nichts vor als zuweilen -- Eltern. Wir stie¬
gen also beide die langen Thurmtreppen herunter"

-- "und im elterlichen Hause wurden wir durch
die reinlich-geordnete Mittags-Welt erfreuet an
der Stelle der trüben Morgenstube; überall Son¬
nenschein und Aufordnung. Da aber der Vater
in der Stadt war und also das Mittagsbrod
schlechter und später: so ließ ich mir es bis nach
der Schule aufheben, weil ich nicht zu spät in
diese kommen wollte, und weil mir jetzt aus der
Ferne durchs Fenster schon Kameraden und Lehrer
wieder neu erschienen."

In der Schulstube grüßte man die unverän¬
derten Bänke als neu, weil man selber verändert
ist. Ein Schul-Nachmittag ist, glaub' ich, häus¬
licher, auch wegen der Aussicht, Abends zu Hause

chen zu hoͤren, jener findet keinen Zweig, dieſes
kein Blatt; aber eine gewaltige Welt liegt unter
dir, und der unendliche Himmel mit allen uͤbrigen
Welten umfaͤngt dich rings. — Willt du jetzt wei¬
ter gehen in unſerer Kindheit, oder lieber mor¬
gen?”

„Jetzt, beſonders jetzt. Der Kindheit werf'
ich nichts vor als zuweilen — Eltern. Wir ſtie¬
gen alſo beide die langen Thurmtreppen herunter”

— „und im elterlichen Hauſe wurden wir durch
die reinlich-geordnete Mittags-Welt erfreuet an
der Stelle der truͤben Morgenſtube; uͤberall Son¬
nenſchein und Aufordnung. Da aber der Vater
in der Stadt war und alſo das Mittagsbrod
ſchlechter und ſpaͤter: ſo ließ ich mir es bis nach
der Schule aufheben, weil ich nicht zu ſpaͤt in
dieſe kommen wollte, und weil mir jetzt aus der
Ferne durchs Fenſter ſchon Kameraden und Lehrer
wieder neu erſchienen.”

In der Schulſtube gruͤßte man die unveraͤn¬
derten Baͤnke als neu, weil man ſelber veraͤndert
iſt. Ein Schul-Nachmittag iſt, glaub' ich, haͤus¬
licher, auch wegen der Ausſicht, Abends zu Hauſe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0180" n="174"/>
chen zu ho&#x0364;ren, jener findet keinen Zweig, die&#x017F;es<lb/>
kein Blatt; aber eine gewaltige Welt liegt unter<lb/>
dir, und der unendliche Himmel mit allen u&#x0364;brigen<lb/>
Welten umfa&#x0364;ngt dich rings. &#x2014; Willt du jetzt wei¬<lb/>
ter gehen in un&#x017F;erer Kindheit, oder lieber mor¬<lb/>
gen?&#x201D;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jetzt, be&#x017F;onders jetzt. Der Kindheit werf'<lb/>
ich nichts vor als zuweilen &#x2014; Eltern. Wir &#x017F;tie¬<lb/>
gen al&#x017F;o beide die langen Thurmtreppen herunter&#x201D;</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;und im elterlichen Hau&#x017F;e wurden wir durch<lb/>
die reinlich-geordnete Mittags-Welt erfreuet an<lb/>
der Stelle der tru&#x0364;ben Morgen&#x017F;tube; u&#x0364;berall Son¬<lb/>
nen&#x017F;chein und Aufordnung. Da aber der Vater<lb/>
in der Stadt war und al&#x017F;o das Mittagsbrod<lb/>
&#x017F;chlechter und &#x017F;pa&#x0364;ter: &#x017F;o ließ ich mir es bis nach<lb/>
der Schule aufheben, weil ich nicht zu &#x017F;pa&#x0364;t in<lb/>
die&#x017F;e kommen wollte, und weil mir jetzt aus der<lb/>
Ferne durchs Fen&#x017F;ter &#x017F;chon Kameraden und Lehrer<lb/>
wieder neu er&#x017F;chienen.&#x201D;</p><lb/>
        <p>In der Schul&#x017F;tube gru&#x0364;ßte man die unvera&#x0364;<lb/>
derten Ba&#x0364;nke als neu, weil man &#x017F;elber vera&#x0364;ndert<lb/>
i&#x017F;t. Ein Schul-Nachmittag i&#x017F;t, glaub' ich, ha&#x0364;us¬<lb/>
licher, auch wegen der Aus&#x017F;icht, Abends zu Hau&#x017F;e<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[174/0180] chen zu hoͤren, jener findet keinen Zweig, dieſes kein Blatt; aber eine gewaltige Welt liegt unter dir, und der unendliche Himmel mit allen uͤbrigen Welten umfaͤngt dich rings. — Willt du jetzt wei¬ ter gehen in unſerer Kindheit, oder lieber mor¬ gen?” „Jetzt, beſonders jetzt. Der Kindheit werf' ich nichts vor als zuweilen — Eltern. Wir ſtie¬ gen alſo beide die langen Thurmtreppen herunter” — „und im elterlichen Hauſe wurden wir durch die reinlich-geordnete Mittags-Welt erfreuet an der Stelle der truͤben Morgenſtube; uͤberall Son¬ nenſchein und Aufordnung. Da aber der Vater in der Stadt war und alſo das Mittagsbrod ſchlechter und ſpaͤter: ſo ließ ich mir es bis nach der Schule aufheben, weil ich nicht zu ſpaͤt in dieſe kommen wollte, und weil mir jetzt aus der Ferne durchs Fenſter ſchon Kameraden und Lehrer wieder neu erſchienen.” In der Schulſtube gruͤßte man die unveraͤn¬ derten Baͤnke als neu, weil man ſelber veraͤndert iſt. Ein Schul-Nachmittag iſt, glaub' ich, haͤus¬ licher, auch wegen der Ausſicht, Abends zu Hauſe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/180
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/180>, abgerufen am 27.11.2024.