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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

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eine Reflexion über das Geschriebene -- dieß will
wieder niedergeschrieben seyn, -- kurz der beste
Läufer holet nicht seinen Schatten ein.

Und welch ein lumpiges knechtisches katoptri¬
sches Nach-Leben, dieses grabes-luftige Zurück¬
athmen aus lauer Vergangenheit statt eines fri¬
schen Zugs aus frischer Luft! Das flüchtige Ge¬
tümmel wird ein Wachsfigurenkabinet, der blü¬
hende flatternde Lebensgarten ein festes pomologi¬
sches Kabinet. Ists nicht tausendmal klüger, der
Mensch ist von Gegenwart zu Gegenwart wie
Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, und der fröhliche
Trieb thut seinen Windstoß in die Blumen und
Wellen hinein, wirft Blumenstäubchen und Schif¬
fe an ihren Ort und gähnt und stöhnt nicht wie¬
der erbärmlich zurück?

Hingegen ein Tage- und Wochenbuch über
andere! -- Ich gesteh' es meinem geneigten Leser,
dem guten Vult, dieß ist etwas anderes; aber
ich muß freilich sehen und -- anfangen.

Doch so viel lässet sich auch, ohne anzufangen,
annehmen, daß mein Hausherrlein und Brüder¬

lein

eine Reflexion uͤber das Geſchriebene — dieß will
wieder niedergeſchrieben ſeyn, — kurz der beſte
Laͤufer holet nicht ſeinen Schatten ein.

Und welch ein lumpiges knechtiſches katoptri¬
ſches Nach-Leben, dieſes grabes-luftige Zuruͤck¬
athmen aus lauer Vergangenheit ſtatt eines fri¬
ſchen Zugs aus friſcher Luft! Das fluͤchtige Ge¬
tuͤmmel wird ein Wachsfigurenkabinet, der bluͤ¬
hende flatternde Lebensgarten ein feſtes pomologi¬
ſches Kabinet. Iſts nicht tauſendmal kluͤger, der
Menſch iſt von Gegenwart zu Gegenwart wie
Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, und der froͤhliche
Trieb thut ſeinen Windſtoß in die Blumen und
Wellen hinein, wirft Blumenſtaͤubchen und Schif¬
fe an ihren Ort und gaͤhnt und ſtoͤhnt nicht wie¬
der erbaͤrmlich zuruͤck?

Hingegen ein Tage- und Wochenbuch uͤber
andere! — Ich geſteh' es meinem geneigten Leſer,
dem guten Vult, dieß iſt etwas anderes; aber
ich muß freilich ſehen und — anfangen.

Doch ſo viel laͤſſet ſich auch, ohne anzufangen,
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[128/0134] eine Reflexion uͤber das Geſchriebene — dieß will wieder niedergeſchrieben ſeyn, — kurz der beſte Laͤufer holet nicht ſeinen Schatten ein. Und welch ein lumpiges knechtiſches katoptri¬ ſches Nach-Leben, dieſes grabes-luftige Zuruͤck¬ athmen aus lauer Vergangenheit ſtatt eines fri¬ ſchen Zugs aus friſcher Luft! Das fluͤchtige Ge¬ tuͤmmel wird ein Wachsfigurenkabinet, der bluͤ¬ hende flatternde Lebensgarten ein feſtes pomologi¬ ſches Kabinet. Iſts nicht tauſendmal kluͤger, der Menſch iſt von Gegenwart zu Gegenwart wie Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, und der froͤhliche Trieb thut ſeinen Windſtoß in die Blumen und Wellen hinein, wirft Blumenſtaͤubchen und Schif¬ fe an ihren Ort und gaͤhnt und ſtoͤhnt nicht wie¬ der erbaͤrmlich zuruͤck? Hingegen ein Tage- und Wochenbuch uͤber andere! — Ich geſteh' es meinem geneigten Leſer, dem guten Vult, dieß iſt etwas anderes; aber ich muß freilich ſehen und — anfangen. Doch ſo viel laͤſſet ſich auch, ohne anzufangen, annehmen, daß mein Hausherrlein und Bruͤder¬ lein

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/134>, abgerufen am 24.11.2024.