das schwimmende Wesen in eine Bucht voll Busch¬ wurzeln verfangen hatte. Mühsam und zitternd hob er mit seinem Stabe einen leeren Aermel, dann noch einen und darauf gar noch einige auf, bis er sehr sah, daß das Ganze nichts sei als eine ins Wasser geworfene, von der Jahrszeit abgedankte -- Vogelscheuche.
Aber ein Schauder dauert länger als sein An¬ laß oder Irthum; er ging noch sorgend für den Bruder in dessen Wohngasse, als seine Flöte schon von ferne herauf tönte und wie nun die Fluth alle die offnen rauhen Klippen der Welt mit Einem weichen Meer zudeckte. Der elende November, der herrnhutische Wirth, die Vogelscheuche und die leere Ebbe des Lebens gingen nun unter in schö¬ nen Wogen. Walt trat, weils finster war -- denn am Tage schauete er nur die lange Gasse hinab -- dicht vor Vults Haus, obwohl in die Monds-Schatten-Seite. Er drückte den Thür¬ drücker, wie eine Hand, weil er wußte, wie oft ihn die brüderliche mußte angefaßt haben. Vult, dieß merkte er aus dem Schatten und dem Licht¬ schimmer gegenüber, mußte mit dem Notenpulte
das ſchwimmende Weſen in eine Bucht voll Buſch¬ wurzeln verfangen hatte. Muͤhſam und zitternd hob er mit ſeinem Stabe einen leeren Aermel, dann noch einen und darauf gar noch einige auf, bis er ſehr ſah, daß das Ganze nichts ſei als eine ins Waſſer geworfene, von der Jahrszeit abgedankte — Vogelſcheuche.
Aber ein Schauder dauert laͤnger als ſein An¬ laß oder Irthum; er ging noch ſorgend fuͤr den Bruder in deſſen Wohngaſſe, als ſeine Floͤte ſchon von ferne herauf toͤnte und wie nun die Fluth alle die offnen rauhen Klippen der Welt mit Einem weichen Meer zudeckte. Der elende November, der herrnhutiſche Wirth, die Vogelſcheuche und die leere Ebbe des Lebens gingen nun unter in ſchoͤ¬ nen Wogen. Walt trat, weils finſter war — denn am Tage ſchauete er nur die lange Gaſſe hinab — dicht vor Vults Haus, obwohl in die Monds-Schatten-Seite. Er druͤckte den Thuͤr¬ druͤcker, wie eine Hand, weil er wußte, wie oft ihn die bruͤderliche mußte angefaßt haben. Vult, dieß merkte er aus dem Schatten und dem Licht¬ ſchimmer gegenuͤber, mußte mit dem Notenpulte
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0115"n="109"/>
das ſchwimmende Weſen in eine Bucht voll Buſch¬<lb/>
wurzeln verfangen hatte. Muͤhſam und zitternd<lb/>
hob er mit ſeinem Stabe einen leeren Aermel, dann<lb/>
noch einen und darauf gar noch einige auf, bis er<lb/>ſehr ſah, daß das Ganze nichts ſei als eine ins<lb/>
Waſſer geworfene, von der Jahrszeit abgedankte<lb/>— Vogelſcheuche.</p><lb/><p>Aber ein Schauder dauert laͤnger als ſein An¬<lb/>
laß oder Irthum; er ging noch ſorgend fuͤr den<lb/>
Bruder in deſſen Wohngaſſe, als ſeine Floͤte ſchon<lb/>
von ferne herauf toͤnte und wie nun die Fluth<lb/>
alle die offnen rauhen Klippen der Welt mit Einem<lb/>
weichen Meer zudeckte. Der elende November,<lb/>
der herrnhutiſche Wirth, die Vogelſcheuche und die<lb/>
leere Ebbe des Lebens gingen nun unter in ſchoͤ¬<lb/>
nen Wogen. Walt trat, weils finſter war —<lb/>
denn am Tage ſchauete er nur die lange Gaſſe<lb/>
hinab — dicht vor Vults Haus, obwohl in die<lb/>
Monds-Schatten-Seite. Er druͤckte den Thuͤr¬<lb/>
druͤcker, wie eine Hand, weil er wußte, wie oft<lb/>
ihn die bruͤderliche mußte angefaßt haben. Vult,<lb/>
dieß merkte er aus dem Schatten und dem Licht¬<lb/>ſchimmer gegenuͤber, mußte mit dem Notenpulte<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[109/0115]
das ſchwimmende Weſen in eine Bucht voll Buſch¬
wurzeln verfangen hatte. Muͤhſam und zitternd
hob er mit ſeinem Stabe einen leeren Aermel, dann
noch einen und darauf gar noch einige auf, bis er
ſehr ſah, daß das Ganze nichts ſei als eine ins
Waſſer geworfene, von der Jahrszeit abgedankte
— Vogelſcheuche.
Aber ein Schauder dauert laͤnger als ſein An¬
laß oder Irthum; er ging noch ſorgend fuͤr den
Bruder in deſſen Wohngaſſe, als ſeine Floͤte ſchon
von ferne herauf toͤnte und wie nun die Fluth
alle die offnen rauhen Klippen der Welt mit Einem
weichen Meer zudeckte. Der elende November,
der herrnhutiſche Wirth, die Vogelſcheuche und die
leere Ebbe des Lebens gingen nun unter in ſchoͤ¬
nen Wogen. Walt trat, weils finſter war —
denn am Tage ſchauete er nur die lange Gaſſe
hinab — dicht vor Vults Haus, obwohl in die
Monds-Schatten-Seite. Er druͤckte den Thuͤr¬
druͤcker, wie eine Hand, weil er wußte, wie oft
ihn die bruͤderliche mußte angefaßt haben. Vult,
dieß merkte er aus dem Schatten und dem Licht¬
ſchimmer gegenuͤber, mußte mit dem Notenpulte
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/115>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.