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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

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das schwimmende Wesen in eine Bucht voll Busch¬
wurzeln verfangen hatte. Mühsam und zitternd
hob er mit seinem Stabe einen leeren Aermel, dann
noch einen und darauf gar noch einige auf, bis er
sehr sah, daß das Ganze nichts sei als eine ins
Wasser geworfene, von der Jahrszeit abgedankte
-- Vogelscheuche.

Aber ein Schauder dauert länger als sein An¬
laß oder Irthum; er ging noch sorgend für den
Bruder in dessen Wohngasse, als seine Flöte schon
von ferne herauf tönte und wie nun die Fluth
alle die offnen rauhen Klippen der Welt mit Einem
weichen Meer zudeckte. Der elende November,
der herrnhutische Wirth, die Vogelscheuche und die
leere Ebbe des Lebens gingen nun unter in schö¬
nen Wogen. Walt trat, weils finster war --
denn am Tage schauete er nur die lange Gasse
hinab -- dicht vor Vults Haus, obwohl in die
Monds-Schatten-Seite. Er drückte den Thür¬
drücker, wie eine Hand, weil er wußte, wie oft
ihn die brüderliche mußte angefaßt haben. Vult,
dieß merkte er aus dem Schatten und dem Licht¬
schimmer gegenüber, mußte mit dem Notenpulte

das ſchwimmende Weſen in eine Bucht voll Buſch¬
wurzeln verfangen hatte. Muͤhſam und zitternd
hob er mit ſeinem Stabe einen leeren Aermel, dann
noch einen und darauf gar noch einige auf, bis er
ſehr ſah, daß das Ganze nichts ſei als eine ins
Waſſer geworfene, von der Jahrszeit abgedankte
— Vogelſcheuche.

Aber ein Schauder dauert laͤnger als ſein An¬
laß oder Irthum; er ging noch ſorgend fuͤr den
Bruder in deſſen Wohngaſſe, als ſeine Floͤte ſchon
von ferne herauf toͤnte und wie nun die Fluth
alle die offnen rauhen Klippen der Welt mit Einem
weichen Meer zudeckte. Der elende November,
der herrnhutiſche Wirth, die Vogelſcheuche und die
leere Ebbe des Lebens gingen nun unter in ſchoͤ¬
nen Wogen. Walt trat, weils finſter war —
denn am Tage ſchauete er nur die lange Gaſſe
hinab — dicht vor Vults Haus, obwohl in die
Monds-Schatten-Seite. Er druͤckte den Thuͤr¬
druͤcker, wie eine Hand, weil er wußte, wie oft
ihn die bruͤderliche mußte angefaßt haben. Vult,
dieß merkte er aus dem Schatten und dem Licht¬
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[109/0115] das ſchwimmende Weſen in eine Bucht voll Buſch¬ wurzeln verfangen hatte. Muͤhſam und zitternd hob er mit ſeinem Stabe einen leeren Aermel, dann noch einen und darauf gar noch einige auf, bis er ſehr ſah, daß das Ganze nichts ſei als eine ins Waſſer geworfene, von der Jahrszeit abgedankte — Vogelſcheuche. Aber ein Schauder dauert laͤnger als ſein An¬ laß oder Irthum; er ging noch ſorgend fuͤr den Bruder in deſſen Wohngaſſe, als ſeine Floͤte ſchon von ferne herauf toͤnte und wie nun die Fluth alle die offnen rauhen Klippen der Welt mit Einem weichen Meer zudeckte. Der elende November, der herrnhutiſche Wirth, die Vogelſcheuche und die leere Ebbe des Lebens gingen nun unter in ſchoͤ¬ nen Wogen. Walt trat, weils finſter war — denn am Tage ſchauete er nur die lange Gaſſe hinab — dicht vor Vults Haus, obwohl in die Monds-Schatten-Seite. Er druͤckte den Thuͤr¬ druͤcker, wie eine Hand, weil er wußte, wie oft ihn die bruͤderliche mußte angefaßt haben. Vult, dieß merkte er aus dem Schatten und dem Licht¬ ſchimmer gegenuͤber, mußte mit dem Notenpulte

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/115>, abgerufen am 27.11.2024.