Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

denk' ich" -- sagte Walt zu sich -- "weiß ich
"recht gut, woran ich bin, ich bin fast sehr un¬
"glücklich -- es ist vorbey mit dem Himmel, der
"sich hier aufthat für mein Armen-Auge -- Auf
"ewig ist mir der Bruder begraben und eingesenkt
"-- Tritt er etwan einmal vor mich, so, weiß
"ich wohl, ists ein Antlitz grimmig verzogen,
"und mich wird schaudern durch mein Herz. O
"mein Bruder, wie schön war es einst, als ich
"dich noch umarmte, und zwar weinen mu߬
"te, aber ganz anders!"

Darauf schrieb er wieder ein gutes Kapitel am
Romane, schickt' es ihm mit folgendem, hier ganz
mitzutheilendem Briefe:

Bruder!

Hier! -- -- -- -- -- -- --

Dein Bruder
G.

Vult versetzte nichts darauf. Gott Walt er¬
zürnte sich nach der Terzien-Uhr; dann hatt' er
wieder lieb nach der Thurm-Uhr. Nur die Träu¬
me drangen mit ihren gräulichen aufgerissenen
Larven in seinen Schlaf, jede mußte wie ein

denk' ich“ — ſagte Walt zu ſich — „weiß ich
„recht gut, woran ich bin, ich bin faſt ſehr un¬
„gluͤcklich — es iſt vorbey mit dem Himmel, der
„ſich hier aufthat fuͤr mein Armen-Auge — Auf
„ewig iſt mir der Bruder begraben und eingeſenkt
„— Tritt er etwan einmal vor mich, ſo, weiß
„ich wohl, iſts ein Antlitz grimmig verzogen,
„und mich wird ſchaudern durch mein Herz. O
„mein Bruder, wie ſchoͤn war es einſt, als ich
„dich noch umarmte, und zwar weinen mu߬
„te, aber ganz anders!“

Darauf ſchrieb er wieder ein gutes Kapitel am
Romane, ſchickt' es ihm mit folgendem, hier ganz
mitzutheilendem Briefe:

Bruder!

Hier! — — — — — — —

Dein Bruder
G.

Vult verſetzte nichts darauf. Gott Walt er¬
zuͤrnte ſich nach der Terzien-Uhr; dann hatt' er
wieder lieb nach der Thurm-Uhr. Nur die Traͤu¬
me drangen mit ihren graͤulichen aufgeriſſenen
Larven in ſeinen Schlaf, jede mußte wie ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0112" n="106"/>
denk' ich&#x201C; &#x2014; &#x017F;agte Walt zu &#x017F;ich &#x2014; &#x201E;weiß ich<lb/>
&#x201E;recht gut, woran ich bin, ich bin fa&#x017F;t &#x017F;ehr un¬<lb/>
&#x201E;glu&#x0364;cklich &#x2014; es i&#x017F;t vorbey mit dem Himmel, der<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich hier aufthat fu&#x0364;r mein Armen-Auge &#x2014; Auf<lb/>
&#x201E;ewig i&#x017F;t mir der Bruder begraben und einge&#x017F;enkt<lb/>
&#x201E;&#x2014; Tritt er etwan einmal vor mich, &#x017F;o, weiß<lb/>
&#x201E;ich wohl, i&#x017F;ts ein Antlitz grimmig verzogen,<lb/>
&#x201E;und mich wird &#x017F;chaudern durch mein Herz. O<lb/>
&#x201E;mein Bruder, wie &#x017F;cho&#x0364;n war es ein&#x017F;t, als ich<lb/>
&#x201E;dich noch umarmte, und zwar weinen mu߬<lb/>
&#x201E;te, aber ganz anders!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Darauf &#x017F;chrieb er wieder ein gutes Kapitel am<lb/>
Romane, &#x017F;chickt' es ihm mit folgendem, hier ganz<lb/>
mitzutheilendem Briefe:</p><lb/>
          <p rendition="#c">Bruder!</p><lb/>
          <p>Hier! &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014; &#x2014;</p><lb/>
          <p rendition="#right">Dein Bruder<lb/>
G.</p><lb/>
          <p>Vult ver&#x017F;etzte nichts darauf. Gott Walt er¬<lb/>
zu&#x0364;rnte &#x017F;ich nach der Terzien-Uhr; dann hatt' er<lb/>
wieder lieb nach der Thurm-Uhr. Nur die Tra&#x0364;<lb/>
me drangen mit ihren gra&#x0364;ulichen aufgeri&#x017F;&#x017F;enen<lb/>
Larven in &#x017F;einen Schlaf, jede mußte wie ein<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0112] denk' ich“ — ſagte Walt zu ſich — „weiß ich „recht gut, woran ich bin, ich bin faſt ſehr un¬ „gluͤcklich — es iſt vorbey mit dem Himmel, der „ſich hier aufthat fuͤr mein Armen-Auge — Auf „ewig iſt mir der Bruder begraben und eingeſenkt „— Tritt er etwan einmal vor mich, ſo, weiß „ich wohl, iſts ein Antlitz grimmig verzogen, „und mich wird ſchaudern durch mein Herz. O „mein Bruder, wie ſchoͤn war es einſt, als ich „dich noch umarmte, und zwar weinen mu߬ „te, aber ganz anders!“ Darauf ſchrieb er wieder ein gutes Kapitel am Romane, ſchickt' es ihm mit folgendem, hier ganz mitzutheilendem Briefe: Bruder! Hier! — — — — — — — Dein Bruder G. Vult verſetzte nichts darauf. Gott Walt er¬ zuͤrnte ſich nach der Terzien-Uhr; dann hatt' er wieder lieb nach der Thurm-Uhr. Nur die Traͤu¬ me drangen mit ihren graͤulichen aufgeriſſenen Larven in ſeinen Schlaf, jede mußte wie ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/112
Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 4. Tübingen, 1805, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre04_1805/112>, abgerufen am 27.11.2024.