warum, denn sie schreibt's den Tönen ihrer zahm gemachten Philomele zu. Ein Wesen seh' ich da, wie ich noch nie gesehen, ausgenommen im Konzert -- doch es ist eben Wina -- eine Men¬ schen-Blume seh' ich, die ohne Bewustsein prangt und deren Blätter nichts öffnet und schliesset, als der Himmel. Abendröthe und Son¬ ne möchten ordentlich gern näher zu ihr, das Purpurwölkgen wünschte herunter, weil sie die Liebe selber ist, und wieder die Liebe selber sucht, sie zieht alles Leben an sich heran. Eine Tur¬ teltaube läuft um ihre Füsse und girrt mit zit¬ ternden Flügeln. Die andern Nachtigallen flat¬ tern fast alle aus ihren Büschen und singen um die singende herum.
Hier wendet sich ihr Blau-Auge von der Sonne und fällt aufgeschlagen auf mich; aber sie zittert. Auch ich zittere, aber vor Freude, und auch ihrentwegen. Ich gehe zu ihr durch die schlagenden Nachtigallen hin; wir sind uns in nichts gleich als in der Schönheit, denn mei¬ ne Liebe ist noch heisser als ihre. Sie bückt ihr Haupt und weint und bebt, und ich glaube
warum, denn ſie ſchreibt's den Toͤnen ihrer zahm gemachten Philomele zu. Ein Weſen ſeh' ich da, wie ich noch nie geſehen, ausgenommen im Konzert — doch es iſt eben Wina — eine Men¬ ſchen-Blume ſeh' ich, die ohne Bewuſtſein prangt und deren Blaͤtter nichts oͤffnet und ſchlieſſet, als der Himmel. Abendroͤthe und Son¬ ne moͤchten ordentlich gern naͤher zu ihr, das Purpurwoͤlkgen wuͤnſchte herunter, weil ſie die Liebe ſelber iſt, und wieder die Liebe ſelber ſucht, ſie zieht alles Leben an ſich heran. Eine Tur¬ teltaube laͤuft um ihre Fuͤſſe und girrt mit zit¬ ternden Fluͤgeln. Die andern Nachtigallen flat¬ tern faſt alle aus ihren Buͤſchen und ſingen um die ſingende herum.
Hier wendet ſich ihr Blau-Auge von der Sonne und faͤllt aufgeſchlagen auf mich; aber ſie zittert. Auch ich zittere, aber vor Freude, und auch ihrentwegen. Ich gehe zu ihr durch die ſchlagenden Nachtigallen hin; wir ſind uns in nichts gleich als in der Schoͤnheit, denn mei¬ ne Liebe iſt noch heiſſer als ihre. Sie buͤckt ihr Haupt und weint und bebt, und ich glaube
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0046"n="38"/>
warum, denn ſie ſchreibt's den Toͤnen ihrer zahm<lb/>
gemachten Philomele zu. Ein Weſen ſeh' ich<lb/>
da, wie ich noch nie geſehen, ausgenommen im<lb/>
Konzert — doch es iſt eben Wina — eine Men¬<lb/>ſchen-Blume ſeh' ich, die ohne Bewuſtſein<lb/>
prangt und deren Blaͤtter nichts oͤffnet und<lb/>ſchlieſſet, als der Himmel. Abendroͤthe und Son¬<lb/>
ne moͤchten ordentlich gern naͤher zu ihr, das<lb/>
Purpurwoͤlkgen wuͤnſchte herunter, weil ſie die<lb/>
Liebe ſelber iſt, und wieder die Liebe ſelber ſucht,<lb/>ſie zieht alles Leben an ſich heran. Eine Tur¬<lb/>
teltaube laͤuft um ihre Fuͤſſe und girrt mit zit¬<lb/>
ternden Fluͤgeln. Die andern Nachtigallen flat¬<lb/>
tern faſt alle aus ihren Buͤſchen und ſingen um<lb/>
die ſingende herum.</p><lb/><p>Hier wendet ſich ihr Blau-Auge von der<lb/>
Sonne und faͤllt aufgeſchlagen auf mich; aber<lb/>ſie zittert. Auch ich zittere, aber vor Freude,<lb/>
und auch ihrentwegen. Ich gehe zu ihr durch<lb/>
die ſchlagenden Nachtigallen hin; wir ſind uns<lb/>
in nichts gleich als in der Schoͤnheit, denn mei¬<lb/>
ne Liebe iſt noch heiſſer als ihre. Sie buͤckt ihr<lb/>
Haupt und weint und bebt, und ich glaube<lb/></p></div></body></text></TEI>
[38/0046]
warum, denn ſie ſchreibt's den Toͤnen ihrer zahm
gemachten Philomele zu. Ein Weſen ſeh' ich
da, wie ich noch nie geſehen, ausgenommen im
Konzert — doch es iſt eben Wina — eine Men¬
ſchen-Blume ſeh' ich, die ohne Bewuſtſein
prangt und deren Blaͤtter nichts oͤffnet und
ſchlieſſet, als der Himmel. Abendroͤthe und Son¬
ne moͤchten ordentlich gern naͤher zu ihr, das
Purpurwoͤlkgen wuͤnſchte herunter, weil ſie die
Liebe ſelber iſt, und wieder die Liebe ſelber ſucht,
ſie zieht alles Leben an ſich heran. Eine Tur¬
teltaube laͤuft um ihre Fuͤſſe und girrt mit zit¬
ternden Fluͤgeln. Die andern Nachtigallen flat¬
tern faſt alle aus ihren Buͤſchen und ſingen um
die ſingende herum.
Hier wendet ſich ihr Blau-Auge von der
Sonne und faͤllt aufgeſchlagen auf mich; aber
ſie zittert. Auch ich zittere, aber vor Freude,
und auch ihrentwegen. Ich gehe zu ihr durch
die ſchlagenden Nachtigallen hin; wir ſind uns
in nichts gleich als in der Schoͤnheit, denn mei¬
ne Liebe iſt noch heiſſer als ihre. Sie buͤckt ihr
Haupt und weint und bebt, und ich glaube
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/46>, abgerufen am 08.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.