Er schweifte aus der Stadt hinaus. Es war ihm, als wenn zwei einander entgegen we¬ hende Stürme eine Rose mitten im Himmel schwebend erhielten. Draußen stand ein langes bergiges Abendroth wie ein Nordschein am Him¬ mel und machte Licht. Er suchte jezt seine alte Sitte hervor, große Erregungen -- z.B. wenn er irgend einen Virtuosen gesehen, und wär's auf dem Tanzseile gewesen -- dadurch zu nähren und zu stillen, daß er sich frei einen Superlativ des Falls austräumte, wo er die Sache noch Millionenmal weiter trieb. Er wagte dreist den herrlichsten Traum über Wina und sich. "Wi¬ na ist eine Pfarrerstochter aus Elterlein -- fieng er an -- zufällig reis' ich durch mit Suite; ich bin etwa ein Markgraf, oder Grosherzog, nämlich der Erbprinz davon -- noch jung (doch ich bin's jezt auch), so bildschön, sehr lang, mit so himmlischen Augen, ich bin vielleicht der schönste Jüngling in meinem Lande, ganz ähn¬ lich dem Grafen -- Sie sah mich vor dem Pfarrhause vorbei sprengen auf meinem Araber; da wirft ein Gott aus dem Himmel den unaus¬
Er ſchweifte aus der Stadt hinaus. Es war ihm, als wenn zwei einander entgegen we¬ hende Stuͤrme eine Roſe mitten im Himmel ſchwebend erhielten. Draußen ſtand ein langes bergiges Abendroth wie ein Nordſchein am Him¬ mel und machte Licht. Er ſuchte jezt ſeine alte Sitte hervor, große Erregungen — z.B. wenn er irgend einen Virtuoſen geſehen, und waͤr's auf dem Tanzſeile geweſen — dadurch zu naͤhren und zu ſtillen, daß er ſich frei einen Superlativ des Falls austraͤumte, wo er die Sache noch Millionenmal weiter trieb. Er wagte dreiſt den herrlichſten Traum uͤber Wina und ſich. „Wi¬ na iſt eine Pfarrerstochter aus Elterlein — fieng er an — zufaͤllig reiſ' ich durch mit Suite; ich bin etwa ein Markgraf, oder Grosherzog, naͤmlich der Erbprinz davon — noch jung (doch ich bin's jezt auch), ſo bildſchoͤn, ſehr lang, mit ſo himmliſchen Augen, ich bin vielleicht der ſchoͤnſte Juͤngling in meinem Lande, ganz aͤhn¬ lich dem Grafen — Sie ſah mich vor dem Pfarrhauſe vorbei ſprengen auf meinem Araber; da wirft ein Gott aus dem Himmel den unaus¬
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Er ſchweifte aus der Stadt hinaus. Es
war ihm, als wenn zwei einander entgegen we¬
hende Stuͤrme eine Roſe mitten im Himmel
ſchwebend erhielten. Draußen ſtand ein langes
bergiges Abendroth wie ein Nordſchein am Him¬
mel und machte Licht. Er ſuchte jezt ſeine alte
Sitte hervor, große Erregungen — z.B. wenn
er irgend einen Virtuoſen geſehen, und waͤr's auf
dem Tanzſeile geweſen — dadurch zu naͤhren
und zu ſtillen, daß er ſich frei einen Superlativ
des Falls austraͤumte, wo er die Sache noch
Millionenmal weiter trieb. Er wagte dreiſt den
herrlichſten Traum uͤber Wina und ſich. „Wi¬
na iſt eine Pfarrerstochter aus Elterlein —
fieng er an — zufaͤllig reiſ' ich durch mit Suite;
ich bin etwa ein Markgraf, oder Grosherzog,
naͤmlich der Erbprinz davon — noch jung (doch
ich bin's jezt auch), ſo bildſchoͤn, ſehr lang, mit
ſo himmliſchen Augen, ich bin vielleicht der
ſchoͤnſte Juͤngling in meinem Lande, ganz aͤhn¬
lich dem Grafen — Sie ſah mich vor dem
Pfarrhauſe vorbei ſprengen auf meinem Araber;
da wirft ein Gott aus dem Himmel den unaus¬
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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/44>, abgerufen am 31.07.2024.
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