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Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804.

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fand es immer härter, daß die Kirche auch Non¬
nen fasten liesse, nicht die Mönche allein; da es
vielleicht schon genug wäre, wenn nur Spizbuben,
Spieler, Mörder nichts rechts zu essen hätten.

Er gieng in die Kopierstube zum General,
nicht nur mit dem völligen Wunsche, das Mäd¬
gen zu sehen, das heute -- an seinem romantischen
Tage -- eine Märtyrin gewesen, sondern auch mit
der Gewißheit, sie sei von Elterlein zurück und er¬
scheine. Während er mit unsäglichem Vergnügen
einen äußerst frechen Brief einer gewissen Libette,
wie er nur aus der moralischen Lutetia *) voll Epi¬
kurs-Ställe kommen kann, ins Reine schrieb --
denn er schmekte in diesen Freudenkelchen nur den
Abendmalswein der geistigen Liebe und keinen ge¬
schwefelten --, so drang aus den halbofnen Zim¬
mern kein Laut in sein Kabinet, den er nicht zu
einer Ankündigung einer Erscheinung zitternd mach¬
te. Wie in weiten dichten Waldungen ferne lange
Töne hier und dort romantisch durchklingen: so
kamen ihm einzelne Akkorde auf dem Fortepiano --

*) Diesen Namen Kothstadt trug sonst Paris in un¬
bildlicher Beziehung.

fand es immer haͤrter, daß die Kirche auch Non¬
nen faſten lieſſe, nicht die Moͤnche allein; da es
vielleicht ſchon genug waͤre, wenn nur Spizbuben,
Spieler, Moͤrder nichts rechts zu eſſen haͤtten.

Er gieng in die Kopierſtube zum General,
nicht nur mit dem voͤlligen Wunſche, das Maͤd¬
gen zu ſehen, das heute — an ſeinem romantiſchen
Tage — eine Maͤrtyrin geweſen, ſondern auch mit
der Gewißheit, ſie ſei von Elterlein zuruͤck und er¬
ſcheine. Waͤhrend er mit unſaͤglichem Vergnuͤgen
einen aͤußerſt frechen Brief einer gewiſſen Libette,
wie er nur aus der moraliſchen Lutetia *) voll Epi¬
kurs-Staͤlle kommen kann, ins Reine ſchrieb —
denn er ſchmekte in dieſen Freudenkelchen nur den
Abendmalswein der geiſtigen Liebe und keinen ge¬
ſchwefelten —, ſo drang aus den halbofnen Zim¬
mern kein Laut in ſein Kabinet, den er nicht zu
einer Ankuͤndigung einer Erſcheinung zitternd mach¬
te. Wie in weiten dichten Waldungen ferne lange
Toͤne hier und dort romantiſch durchklingen: ſo
kamen ihm einzelne Akkorde auf dem Fortepiano —

*) Dieſen Namen Kothſtadt trug ſonſt Paris in un¬
bildlicher Beziehung.
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[26/0034] fand es immer haͤrter, daß die Kirche auch Non¬ nen faſten lieſſe, nicht die Moͤnche allein; da es vielleicht ſchon genug waͤre, wenn nur Spizbuben, Spieler, Moͤrder nichts rechts zu eſſen haͤtten. Er gieng in die Kopierſtube zum General, nicht nur mit dem voͤlligen Wunſche, das Maͤd¬ gen zu ſehen, das heute — an ſeinem romantiſchen Tage — eine Maͤrtyrin geweſen, ſondern auch mit der Gewißheit, ſie ſei von Elterlein zuruͤck und er¬ ſcheine. Waͤhrend er mit unſaͤglichem Vergnuͤgen einen aͤußerſt frechen Brief einer gewiſſen Libette, wie er nur aus der moraliſchen Lutetia *) voll Epi¬ kurs-Staͤlle kommen kann, ins Reine ſchrieb — denn er ſchmekte in dieſen Freudenkelchen nur den Abendmalswein der geiſtigen Liebe und keinen ge¬ ſchwefelten —, ſo drang aus den halbofnen Zim¬ mern kein Laut in ſein Kabinet, den er nicht zu einer Ankuͤndigung einer Erſcheinung zitternd mach¬ te. Wie in weiten dichten Waldungen ferne lange Toͤne hier und dort romantiſch durchklingen: ſo kamen ihm einzelne Akkorde auf dem Fortepiano — *) Dieſen Namen Kothſtadt trug ſonſt Paris in un¬ bildlicher Beziehung.

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Zitationshilfe: Jean Paul: Flegeljahre. Bd. 3. Tübingen, 1804, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/paul_flegeljahre03_1804/34>, abgerufen am 24.11.2024.